Review

X.Y.R.

Robinson Crusoe

Mixed Up • 2019

Auch wenn von einer »New-Age-Explosion« entgegen anderer Behauptungen aktuell nicht die Rede sein kann, hat Vladimir Karpov mit seinem »Lost Soundtrack« zu »Robinson Crusoe« zumindest die gestiegene Lust für körnig produzierte Retrofantasien der jüngsten Zeit ein paar Jahre früher als andere kommen sehen. Analoge Synthesizer nebst Vintage-Vibes wie bei Steve Roach damals oder Heinrich Dressel heute sind eben immer noch beliebte weil bequeme Vehikel für Erinnerungen, die nicht einmal unbedingt die eigenen sind. Wenn es darum geht, kann sich Karpov unter seinem Alias X.Y.R. zu den neuen Meistern auf der Nostalgieklaviatur zählen. Die oft repetitiven Figuren des St. Petersburger Produzenten waren auf »Robinson Crusoe« schon weitgehend zu Ende gedacht. In einer winzigen, quasi nur für Freunde produzierten Kassetten-Auflage kam das Debüt 2012 nach bester DIY-Manier raus und war logischerweise schon ausverkauft, bevor bei Discogs die Preise ins Absurde schießen konnten. Seither veröffentlichte X.Y.R. sieben vollwertige Alben, die trotz der Reduktion ihrer Mittel eine erstaunliche Bandbreite an Stimmungen abdecken. Meistens mit nicht mehr als einem alten Formanta Polivoks, Looper und Pedals entwirft der Mann in »First Weeks On The Island« die selige Sonnenuntergangsromantik einer Südseeinsel, bevor »Finds Print Of Man’s Foot On The Sand« paranoider Library Music aus dem Italien der späten Siebziger huldigt. Dann Momente unerwarteter Schönheit, wie direkt zu Beginn von »Friday’s Education«, das ein bisschen nach Twin Peaks und ein bisschen nach vertontem Poesiealbum klingt. »Visit Of Mutiners« und »Return To England« schließen dieses Album über einen Vorgeschmack der heimeligen Harmonien ab, mittels derer X.Y.R. später noch auf vielen Veröffentlichungen HörerInnen umgarnen würde. Der wiedergefundene Soundtrack für den Cocktail-Kater.