Das vorherrschende Bild der 1980er Jahre in Italien ist entweder in weichzeichnerische Luca-Guadagnino-Töne getaucht oder neongrell ausgemalt – in Farben, wie sie Italo Disco stolz nach außen trug. Das allerdings überpinselt großzügig die sehr realen ökonomischen und politischen Krisen wie auch die sozialen Missstände des Landes zu dieser Zeit. Dieses hatte mit einer durch gleich zwei Ölkrisen eingeleiteten Stagflation ebenso zu kämpfen wie mit instabilen Regierungen und blankem Terror – von den »anni di piombo«, »Bleijahren« ist heute noch die Rede. Italo Disco ist auch der Soundtrack einer Nation, die sich plötzlich modernisiert sah, ohne damit richtig zurechtzukommen. Der Sound des Genres wurde im wohlhabenden Mailand geschmiedet und spiegelte eine Dekadenz wider, die angesichts der Umstände schnell als Ignoranz umgewertet werden könnte. Doch es gibt auch die düsteren Untertöne von Italo Disco. »Profondo Nero«, »tiefschwarz«, lautet der an Dario Argentos Horror-Klassiker »Profondo Rosso« angelehnte Titel einer neuen von Cinema Royale für Dekmantel zusammengestellten Compilation mit »Leftfield Italo Disco«, wie der in Amsterdam ansässige DJ es nennt. Die elf zwischen den Jahren 1983 und 1989 erschienenen Stücke zeichnen sich zwar durch rumorende Moroder-Bässe, funkige Einschübe und gleißende Synthie-Melodien aus. Doch sind die für Italo Disco so typischen euphorischen Spitzen abgeschnitten – viele von ihnen stampfen gedämpft dahin und sind nicht an Höhepunkten, sondern lediglich am Weitermachen interessiert. Klanglich sind sie eher mit dem dramatischen Synth-Pop und New Wave britischer Prägung verwandt als mit den überzuckerten Sounds von Hi-NRG oder Eurodisco. Bisweilen tauchen sie auch tief in eine Verlorenheit und Melancholie ein, die an Verzweiflung grenzen. Nirgendwo wird dies eindringlicher als auf Robert Sandrinis »Occhi su di me«, einer auf Discogs hart umkämpften Cover-Version von Billy Idols »Eyes Without a Face« und dem absoluten Highlight auf dieser vielseitigen Sammlung, die stringent verschiedene Facetten einer ganz anderen Art von Italo Disco durchläuft. Denn trotz des gelegentlichen Electro-Funk-Bangers (»Talk With Your Body« von Tom Hooker) oder balearischen Anleihen (»No Estas« von Isamar & Compañia) dominiert eine merkwürdige Traurigkeit diese Stücke, die von gescheiterten Beziehungen (»Lover Message« von Santaro) ebenso wie von Großstadteinsamkeit (»Nightlights in Japan« von Galvanica) berichten. So spannt sich auf »Profondo Nero« die düstere Unterseite des Italo-Disco-Hypes genauso auf wie es das Unbewusste einer Gesellschaft durchleuchtet, die nach Jahren des Chaos plötzlich gute Miene zum bösen Spiel machen sollte. Und die Discogs-Wantlist wird in einem Zug gleich mitaufgeräumt.
Profondo Nero