Review Rock

Tool

Fear Inoculum

RCA • 2022

Fast fünftausend Tage nach Album vier lieferten sie dann doch. Als
Tool im August 2019 das nahezu prophetisch betitelte »Fear
Inoculum«
veröffentlichten, gelang damit abermals etwas, das viele
Musiksnobs dieser Band über Jahre immer wieder absprechen wollten:
Das eigene Soundspektrum nicht nur weiterzuentwickeln, sondern ohne
Aufgabe seiner Signatur zu transformieren. Erneut schien das
kalifornische Quartett die Frequenz des Zeitgeistes in einem
monumentalen Machwerk anzuzapfen, das die Belastbarkeitsgrenzen
gängiger Medien ausreizte, ob CD, LP, Dateiformate, Streams oder
menschliche Aufmerksamkeitsspannen. So zeigt »Fear Inoculum« über
80 Minuten hinweg vier Songwriter und Virtuosen auf dem
vorläufigen Zenit ihres Schaffens – technisch, musikalisch,
narrativ, emotional, spritituell, kommerziell. Mit der Zahl 7 als
zugrundeliegendem Konzept, sind die sechs zwischen 10 und 15
Minuten fassenden Longtracks dieses Albums nichts weniger als eine
tellurische Meditation über die Menschenordnung, die scheinbar
gleich unserer Erde immer wieder ins Feuer tauchen muss, um sich
von Neuem zu gebären. Nun endlich, nach ständigen Gerüchten und
Delays, verstopften Presswerken und Produktionsproblemen erschien
das lang erwartete LP-Set von »Fear Inoculum« Anfang April, das
sich wie ein metaphysisches Audiobook aufschlägt. Fünf
Schallplatten, auf der einen Seite bepresst mit allen Songs
inklusive der oft missachteten Interludes, auf der anderen mit
kunstvollen Etchings verziert, in einer schimmernden Hochglanz-Box
und mit alternativem Cover, Liner-Notes sowie irrwitzigen Artworks
versehen – etwas anderes als »episch« kommt dem kaum bei. Doch
auch in Sachen Klangqualität wurde nirgends gespart: Das Vinyl-
Mastering von Chris Bellman ist hochdynamisch, entwickelt die
Tiefen muskulös aber definiert und lässt damit den oberen
Frequenzbereichen deutlich mehr Raum, als beim vorigen CD-Master
wahrnehmbar war. Danny Careys Oktopus-artiges Drumming, die in
Siebenen angeordneten Rhythmen von Justin Chancellor, das turmhohe
Riffing von Adam Jones und Maynard James Keenans bislang
eindrucksvollste Stimmpräsenz – auf allen Ebenen ist dieses Box-
Set
auditiv wie optisch makellos ausformuliert und wird so
tatsächlich den künstlerischen Qualitäten einer Band gerecht, die
sich selbst immer wieder zu überwinden vermag. Unglaubliches Teil.