Review

Thomas Brinkmann

1000 Keys

Editions Mego • 2016

Fast 70 Jahre ist es her, dass Conlon Nancarrow das mechanische Klavier für sich als Musikinstrument entdeckte. Mehr nebenbei als beabsichtigt zerschmetterten seine jahrzehntelangen polymetrischen und klangexploratorischen Studien unsere überkommenen Vorstellungen davon, was ein Klavier ist. Thomas Brinkmann der sein neues Album Nancarrow widmet, pflügte als Doyen kybernetischen Maschinen-Funks von Anfang an in dessen Fahrwasser. Das Rad der Geschichte hat sich gleichwohl weitergedreht. So sehr auch das MIDI-Prinzip noch der klassischen Piano-Roll ähnelt, so weit haben sich digitale Pianos klangkonzeptuell von ihren analogen Urahn entfernt. »A 1000 Keys« wird somit in erster Linie zu ein Spiel um die Leere ihrer Mimikry. Nach wie vor haftet diese Mimkry den 88 Tasten an, als habe es Nancarrow nie gegeben. Brinkmanns Klavierklang-Roboter ziehen hämmernd in linearer Metrik ihre Kreise, gleichwohl mit dem Funk dynamischen Pulsierens, um wie zuckende Schlangen dabei die Häute romantischer Residuen restlos abzustreifen. Die musikalischen Entdeckungen, die Nancarrows Wahnwitz mit den seinen aufschloss, sind Brinkmanns Algorithmen dabei gleichgültig. Zugleich ist auch jede Distanz etwa zwischen Klavierton und Drumsound zunichte. Das digitale Klavier als Nicht-Ort – modernen Flughäfen ähnlich, auf die die Tracktitel verweisen? Ganz so streng seelenlos wird es dann doch nicht. «VIE» nickt der Neuen Wiener Schule genauso zu, wie «JFK» aus demselben nervösen Groove schöpft, den schon Ryoji Ikeda zu seiner New Yorker Zeit auf Impulsketten zog. «MEX» schließlich sprengt das stoische Raster mit einer Rhythmik, in deren Vertracktheit der Geist des Gewürdigten auflebt.