Review

The Wooden Glass & Billy Wooten

Live

P-Vine • 2021

Wenn einem eine Platte als »Meisterwerk der Jazz-Funk-Live-Alben« angepriesen wird, ist zunächst Skepsis angebracht. Dass einer der Titel, »In the Rain«, von keinem Geringeren als Madlib später zu eigenen Zwecken bearbeitet werden sollte, spricht andererseits nicht gegen die Sache. Und dann ist einer der Protagonisten dieser Aufnahme, der Vibraphonist [Billy Wooten](https://www.hhv-mag.com/de/glossareintrag/6729/billy-wooten,) auch nicht irgendwer. Anfang der 1970er Jahre spielte er in der Band des Gitarristen Grant Green, er ist unter anderem auf dessen Album »Visions« zu hören. Mit seinen damaligen Bandkollegen, dem Schlagzeuger Harold Cardwell und dem Organisten Emmanuel Riggins, fand er sich dann, ergänzt um den Gitarristen William Roach, in Indianapolis als The Wooden Glass zusammen. Und deren erste Platte, ein Live-Mitschnitt von 1972 aus dem Club The 19th Hole, in dem sie regelmäßig spielten, ist gelinde gesagt, der Hammer. Bei ihnen ist die Fusion durch den Soul der Sechziger motorisiert, besonders Harold Cardwell macht an seinem Instrument so heftig Druck, dass der gern scheppernde Klang einem fast nicht mehr auffällt, stören tut er eh nicht. Dieses Dreckige, verstärkt durch die verzerrte Hammondorgel – manchmal kommt dazu extra Dampf einer Trillerpfeife, wobei nicht klar ist, ob von der Band oder aus dem Publikum –, bildet einen schönen Kontrast zu den sanft metallisch perlenden Melodien Billy Wootens. Und diese Kombination ist auch verantwortlich dafür, dass die Energie so einzigartig erscheint. Die Bewegung geht in Richtung voll auf die Zwölf, zugleich kann man zum Vibraphon träumen. Und das Publikum geht mit geballten Kräften mit. Fantastische Autofahrmusik, ach nee, darf man ja nicht mehr, also perfekte Ausrastmusik. Laut hören!