Wie glaubwürdig oder dringlich kann Emotion wirken, wenn sie auf Hochglanz veredelt daherkommt? In Soul und R&B ist hier über Jahrzehnte viel Kredit verspielt worden. Gleichwohl sind die Stimmfiguren dieser Genres auch Fee Kuerten ins Blut gegangen. Was sie in ihrem Projekt Tellavision daraus macht, ist so eigen, dass es wieder stimmig wird. Nicht nur der Name des Projekts, sondern dessen musikalische Ausgestaltung insgesamt knüpft an alte Art-Punk-Zeiten an. Die sparsam-effektiven, meist geradlinigen Arrangements aus Analog-Synth-Motiven und recht sporadischer Percussion sind in einem halbschattigen DIY-Sound gehalten: Bässe pummeln einander, zuweilen zerrt es halt oder heben sich die Vocals Karaoke-artig ab. Jene entfalten aber vor allem eine schwer auszulotende Persönlichkeit, die ihren Blues und Gospel vom Gurn einer Peaches auf der einen bis zu ätherischen Klängen auf der anderen Seite streckt. Letztere etwa in Form eines Vocoder-Engels, mit dem der kreisende, flackernde Kristall von »Hide and Look« zum heimlichen Hit des Albums aufsteigt. »The Third Eye« ist bereits ihr drittes Album, und mehrstimmige Aufspaltungen, die Tellavision in Tracks wie »Attitude« serviert, gelingen ihr deliziös. Im Verlauf zieht sich ihre Stimme allerdings zurück, gibt der Melancholie kriechender Instrumentals Raum. Die intime Energie bleibt, aber so entglitzert würde Planet µ das abschließende »J-Walk International« sich nie trauen, einem Kuedo abzunehmen. In Hamburg, wo sie lebt, wäre man versucht, Tellavision irgendwo zwischen Felix Kubin (bei dem sie u.a. studiert hat) und dem Avant-R&B eines Taprikk Sweezee einzuordnen. Eher allerdings hat Tellavision nicht von ungefähr mit Golden Diskó Ship oder Inga Copeland so manches Line-Up geteilt. Es nagt das Gefühl. Anfang der 1980er Jahre hätte diese Sprache jeder verstanden. Man kann sie heute wieder lernen.
Schlammpeitziger
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