Klang ist körperlich. Ich hatte kürzlich die Gelegenheit, das Liebfrauenmünster in Ingolstadt zu besichtigen. Als ich durch die spätgotische Hallenkirche aus dem 15. Jhdt. spazierte, fingen zwei Frauen an, die Chororgel zu stimmen. Ich wurde überrollt von einem Ton, den man in den Knochen spürt und der doch klar wie Wasser ist. In solchen Momenten verstehen selbst ungetaufte Heiden wie ich den Reiz von religiösen Praktiken. Sarah Davachi kennt ihn. Und reduziert ihn auf seine sinnliche Dimension. Im Laufe der 2010er hat sich die kanadische Drone-Künstlerin als eine Koryphäe ihrer Zunft etabliert.
Nun erscheint mit »The Head As Form’d In The Crier’s Choir« ein weiteres Prachtwerk. Wie gewohnt wartet es mit geduldigen Kompositionen und Anleihen an Barock und Alte Musik auf. Man darf hier weder Melodien noch Rhythmen erwarten. »The Head« ist reine Harmonie – 91 Minuten pure Schwingungen. Wer so auf eine Karte setzt, kann es sich leicht verspielen. Sarah Davachis letztes Album, ein Quartett für Streicher, hat mich beispielsweise eher indifferent zurückgelassen. Doch nun fährt die 37-Jährige ihr klangliches Register auf: »The Head« ragt auf Synthesizern, Bläsern, Streichern, einem Kammerchor und vier verschiedenen Orgeln. Keine zwei Sekunden klingen gleich. Ich könnte hier über musikhistorische Anspielungen oder harmonische Überlegungen fabulieren. Doch besser ist es, ihre Musik körperliche zu erleben. Meine Empfehlung: eine Viertelstunde Zeit nehmen und »Trio For a Ground« anmachen. Laut.
The Head As Form'd In The Crier's Choir