Der Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine liegt nun ein Jahr zurück. Angesichts dessen kann man sich die Frage stellen, wie russische Musiker:innen auf die Lage im eigenen Land reagieren – künstlerisch und persönlich. Zum Beispiel Piper Spray und Lena Tsibizova. Vor einem Jahr lebte das Duo noch in Moskau, jetzt »nirgendwo«. Letzter bekannter Aufenthaltsort: New York. Deplatzierung ist ihrer ersten LP als Erfahrung eingeschrieben. Cineastisch und expressiv, erzählt »Leaving Memories« dennoch keine übliche Emigrationsgeschichte. Vielmehr webt das Album aus Ambient-, Drone- und Art-Pop-Einflüssen eine entvölkerte Klanglandschaft. In ihr geistern verzerrte Stimmen und schemenhafte Geräusche. Die hauptberufliche Fotografin Lena Tsibizova dokumentiert seit Jahren verwaiste Landstriche und die Ruinen der Moderne. Während sie diese »ethnographische« Arbeit nach Indonesien und Sibirien führte, evoziert sie nun die Entfremdung des Eigenen. Dabei ist »Leaving Memories« nicht unbedingt innovativ. So erinnert das Album in Timbre, Tonalität und Motivik stark an den Soundtrack des Indie-Game-Hits »Hyper Light Drifter«. Aber »Leaving Memories« entstand in einer Zeit, in der eine ganze Generation dem Phantasma eines großrussischen Imperiums geopfert wurde. Seine Darstellung des zivilisatorischen Untergangs ist von besonderer politischer Brisanz. Piper Spray und Lena Tsibizova verdienen es, gehört zu werden.
Leaving Memory