Review

Nicolas Otero

Der Roman Von Boddah: Wie Ich Kurt Cobain Getötet Habe

Splitter Verlag • 2016

Tape des Jahres 2024

Von wegen »…and I swear that I don´t have a gun«: Das Projektil aus Kurt Cobains Browning Auto-5 ging mit einer finalen Überdosis Heroin eine endgültige Allianz ein – und das junge Leben des seinerzeit größten Rockstars der Welt war vorbei. Man kennt die Geschichte. Der 5. April 1994 markiert das wenig glorreiche Ende einer beispiellosen Karriere. Das Datum brannte sich mit der Wucht einer Gewehrkugel in´s kollektive Gedächtnis. Kurt Cobains Leben und Tod bilden die Basis zahlreicher moderner Mythen, genährt von guter und schlechter Presse, Gossip, Herzblut und Halbwissen. Sein kurzes Leben wurde medial in jeder Form ausgeleuchtet: Spielfilme, Dokustreifen, Hörspiele, Bücher. Dazu gesellt sich nun der Comic »Der Roman von Boddah. Wie ich Kurt Cobain getötet habe.«

Boddah war der imaginäre Begleiter von Cobains Kindheit – und der Adressat seines Abschiedsbriefs. Aus diesen realen Prämissen schuf die französische Autorin Héloïse Guay de Bellisse einen mit fiktiven und biographischen Elementen spielenden Roman, den Zeichner Nicolas Otero frei als Comic adaptierte. Den poetischen Worten der Autorin stellt er expressive, spärlich kolorierte Bilder zwischen fragiler Erhabenheit und schwelender Destruktivität gegenüber. Ihre Verquickung ist schwer greifbar, aber unmittelbar berührend. Sprunghaft und assoziativ mäandert der Band durch 34 kurze, sich nur lose aufeinander beziehende Kapitel, die wichtige Stationen eines bewegten Lebens nachzeichnen – naheliegende und überraschende, berühmte und wenig bekannte: Die Tour mit Sonic Youth, die eigene costum made Fender Gitarre, die Plagiatsvorwürfe der Band Killing Joke, die Entziehungskuren und der erste Selbstmordversuch. Die intensive Beziehung zu Courtney Love nimmt natürlich eine zentrale Rolle ein, umso mehr aber das Spritzbesteck. Es bleibt sein Zentrum. Oder besser: Ihr Zentrum. Das von Kurt und das von Boddah. In dem Comic hat sich der fiktive Kindheitsfreund nie von dem Nirvana-Frontmann verabschiedet. Er existiert in seiner gezeichneten Inkarnation als dessen ständiger Begleiter und Gesprächspartner.

Was sich eventuell kitschig anhört, erweist sich hier tatsächlich als Glücksgriff. Das Spiel mit Fakt und Fiktion erhält durch die Zwiegespräche Cobains und Boddahs eine eigenwillige Dynamik und verschafft eine unmittelbare Nähe, die allzu ausbeuterische Blicke gleichzeitig aushebelt. So wird die Figur des Kurt Cobain in ihrer facettenreichen Zerrissenheit ernst genommen, ohne dass der Comic Anspruch auf biographische Wahrhaftigkeit erhebt. Das gipfelt in einem intensiven Lesegenuss – auch, wenn die narrative Sprunghaftigkeit es dem Leser nicht immer leicht macht.

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