Das Debütalbum von Nichtseattle machte allein mit dem Titel »Wendekid« ein Fass auf, die zweite LP der Berliner Künstlerin Katharina Kollmann ein weiteres, noch tieferes: »Kommunistenlibido« liefert zwei kontroverse Schlagworte und bietet viel Interpretationsspielraum, fasst zugleich aber das Mit- und Gegeneinander von kollektiven Ansprüchen und individuellen Bedürfnissen konzis zusammen. Wie das klingt? Weitgehend nach Emo, und zwar dessen dritten Welle. Schon das erste Stück, die Vorab-Single »Ein Freund«, lässt Gitarren erklingen, die an Sunny Day Real Estate oder Mineral erinnern, dazu gesellt sich wie bei American Football eine Trompete. Weil die Lyrics aber überwiegend deutschsprachig und obendrein nicht obsessiv befindlichkeitsfixiert, sondern vielmehr auf nahbare Art und diskursiv ausfallen, erinnert das umso mehr an Gruppen wie Katzenstreik. Denn ja, auch Nichtseattle ist, obwohl das der Name erst denken ließe, keine Tocotronic-Neuauflage unter falschen Vorzeichen, sondern ein »Emowürstchen«, wie Katzenstreik das einst per ironisch-überzogenem Albumtitel nannten. Was nur eben nicht heißt, das »Kommunistenlibido«, auch das drückt der Titel schließlich aus, über den getragenen und nur selten von Drums begleiteten neun Songs dieses Albums nicht auch das Persönliche in den Kontext des Politischen stellen würden. Tatsächlich bedeutet die musikalische Zurückhaltung – die klassischen Stop-and-Go-Dynamiken, explosiven Ausbrüche und Gitarren-Feedback der Emo-Tradition sind auf dieser Platte eben doch nicht zu hören – einen ungemeinen Gewinn: Kollmanns Verhandlungen von zwischenmenschlichen Prozessen und ihren gelegentlichen Enden sind schließlich dermaßen sprachlich ausgefeilt und inhaltlich deutungsoffen, dass sich »Kommunistenlibido« allein dafür mehrmals hintereinander weghören ließe. Die Musik kommt dem nicht in die Quere, fügt ihm aber einiges hinzu.
Kommunistenlibido