Es gibt Musiker, die viel veröffentlichen, und es gibt Musiker, die viel zu sagen haben. Die Gitarristin Mary Halvorson gehört in die zweite Kategorie. Sie ist einfach sehr produktiv, und dass sie zu ihrem Labeleinstand auf Nonesuch jetzt gleich zwei Alben parallel veröffentlicht, die als Vinyl zum Doppelalbum zusammengefasst sind, kann bloß als konsequent bezeichnen. Die zweimal knapp 40 Minuten hat sie zum Teil mit denselben Musikern eingespielt. Auf »Amaryllis« präsentiert sie ihr aktuelles Sextett, die Hälfte der Stücke sind zusätzlich mit dem Mivos Quartet aufgenommen. Dasselbe Streichquartett unterstützt Halvorson auf »Belladonna«, hier ohne ihr Sextett. Während »Amaryllis« stärker improvisiert ist, hat Halvorson die Streicherparts auf »Belladonna« komponiert und steuert lediglich an der Gitarre Improvisationen bei. Andere Musiker geben schon mal Anlass zur Sorge, wenn sie Jazzformationen mit klassischen Besetzungen kreuzen, nicht jeder ist da unbedingt geschmackssicher. Anders Halvorson. Die Frau, zu der das kurz zwischendurch mal ausscherende »Äeauh«-Glissando genauso gehört wie ihr Instrument mit großem Korpus, ist nicht allein virtuose Jazzmusikerin, sondern ebenso versierte Komponistin. Das hört man auf »Amaryllis« an den stets neuen Klangfarben, die sie aus ihrem Ensemble hervorlockt, oder daran, wie sie 10/8-Takte auf kantige Art zum Grooven bringt. Und »Belladonna« ist moderner Kammerjazz ausschließlich auf gezupften und gestrichenen Saiten, strenger strukturiert, aber nicht weniger beweglich. Intellektuelle Musik, die Spaß macht.
Amaryllis & Belladonna