Hallo Gestern, wir brauchen dich heute schon morgen. Kenji Araki macht Musik, die Modeselektor in 25 Jahren als heißen Scheiß kuratieren werden. Gitarren-Grunge, die Nullerjahre und eine Ode an die fetten Intros – was nach dreißig Sekunden nicht das Superfood-Dinner von vor zwei Tagen durchmassiert, fliegt raus. Wer darauf nicht klarkommt: Sorry, kein Foto für dich! Der Mann sortiert sein Publikum schließlich konsequenter aus als das Berghain. Dort wird Kenji, der eigentlich Julian heißt und in Salzburg wohnt, früher oder später bei fetten Festen wie dem CTM landen. Dabei folgt sein Sound gar nicht der Deconstructed-Gähn-Ästhetik aus Rausch-Bäm-Klesch-Wiederholungen. Kenji gibt alle drei Sekunden lieber eine andere Richtung vor. Ein gerader Beat, was zum Festhalten? Häh! Wer sich den »Leidenzwang« auf Affine Records gibt, packt sich den elektronischen Musikkanon der letzten 30 Jahre auf die Ohrwascheln. Nicht gleichzeitig oder in der Kopiermaschine, sondern als Fußnotensammlung, die der Vergangenheit gleichermaßen Respekt zollt und sie im Jetzt weiterschreibt. Titel wie »Gel & Gewalt« lassen das Hirnkaschtl rotieren, das Kopfkino rattert im »Milieu«, ein Streifen läuft auf »SINEW« ab. Wer mit 24 dermaßen reflektierten Sound produziert, muss sich über Burial-Vergleiche keine Sorgen machen. Eine Platte, die auf 50 Minuten so viele Bilder pinselt, dass man sich fragt, ob der Mann nun Maler oder Musiker ist.
Leidenzwang