Kunstunis stehen ja manchmal unter Verdacht, Kunst zu sabotieren. Für einige Studenten aus dem Pioneer Valley in Massachusetts in den 1970er- und 1980er-Jahren war das jedenfalls nicht so: Im Dunstkreis von fünf Kunst-Colleges entstand eine visionäre Szene der experimentellen Musik. Jetzt hat José Moura, einer der Besitzer des Plattenladens Flur in Lissabon, einem Teil dieser Szene eine Recherche gewidmet. Entstanden ist neben der »NoHo EP« das kleine Buch »Turning The Crank: The NoHo Scene 1978-1982«. Hauptsächlich anhand von E-Mails seiner Protagonisten (kleines Manko: alle sind männlich) und Facebook- oder Blog-Posts beleuchtet Moura das Entstehen und Abebben der Szene mit ihren Orten und Einflüssen. Zugunsten der Anekdoten bemüht »The NoHo Scene« nur wenig Einordnung und ist so objektiv, wie eine Geschichte, die hauptsächlich aus persönlichen Erinnerungen besteht, es eben sein kann, aber dafür umso unterhaltsamer.
Am Anfang steht der schillernde Professor für Physik und Elektronische Musik Everett Hafner, der neben seiner Tätigkeit als Uni-Dekan mit Synthesizern handelte – und so etwa niemand Geringerem als Stevie Wonder zu dessen ersten Vocoder verhalf. Inspiriert durch Hafner gründete sein Student James Whittemore die Bands Scientific Americans und später Human Error. Mit Chris Vine und Elliott Sharp hatte Whittemore Instrumentalisten gefunden, die ungehemmt genug waren, mit Gitarren und Saxofon über seine nerdigen Synth-Frickeleien zu spielen. Später kam Nick Brown hinzu und The Higher Primates entstanden.
Soziologie einer Szene
Was alle vereinte und auf der EP zu hören ist, war die Liebe zu New Wave, Free Jazz, Dub und elektronischer Musik im Allgemeinen. Diese Mischung fand auf dem eigens gegründeten Label Tekno Tunes seinen Platz und ging auf: man spielte als Vorband für Suicide, The Slits, Steel Pulse und Pere Ubu. Auch J. Masics von Dinosaur Jr. soll auf vielen Konzerten der Scientific Americans gewesen sein. Neben den beigefügten alten Fotos, Plakaten und dem kleinen Exkurs zur heute vergessenen Tradition der Telefon-Bars lohnt sich »The NoHo Scene« auch wegen der teils sehr witzigen alten Zeitungsartikel und Reviews. Für einen Kritiker klangen The Scientific Americans wie ein Treffen zwischen Chuck Berry und Godzilla, ein anderer bevorzugte Rockmusik ohne Synthesizer, denn: »Elektronik ist steril: sie kann keine Gefühle vermitteln«. Ob wir heute also beim Musikhören alle gefühllos sind, bleibt an anderer Stelle zu erörtern.
Turning The Crank: The Noho Scene 1978-1982