Sibel Koçer führt anderthalb musikalische Leben. Einerseits ist sie Modular-Nerd der klassischen Sorte, andererseits Berghain-Resident. Das widerspricht sich nicht, sondern greift produktiv ineinander. Und doch richten sich ihre Veröffentlichungen unter dem Namen JakoJako mal mehr in die eine, mal mehr in die andere Richtung aus. Ihr Solo-Debüt »Metamorphose« dockte im Vorjahr an den Sound des kosmischen Krautrocks an, ohne jedoch allzu tief in die Räucherstäbchenecke abzudriften oder sich zu nostalgisch zu geben. Nicht nur ihre im selben Jahr veröffentlichte Kollaboration Rødhåd, sondern auch die neue EP »Verve« unterstreichen jedoch ihren Dancefloor-Hintergrund. So gesehen sind es nur wenige Meter durch Berlin-Kreuzberg von SchneidersLaden zu Hard Wax, also von flächigen und wirbelnden Synthie-Exkursionen hin zur strengeren Klangsprache des Berliner Techno im Allgemeinen und Basic Channel oder Chain Reaction im Besonderen. Auch diese Blaupause zeichnet die Produzentin im Verlaufe dieser vier Tracks freihändig nach, statt einfach abzupauschen. Denn Koçer denkt die transzendentale Wucht von Dub Techno eher aus dem Miteinander diskreter Elemente heraus und arbeitet weniger mit wabernden Flächen. »Impetus« ist eigentlich ein Peak-Time-Banger, aber von ungemeiner Tiefe. Es passiert viel, alles fügt sich aber stringent zu einem holistischen Klangbild zusammen. »Opak« ist weniger trancig und legt einen größeren Fokus auf Flächen und Arrangement – wieder so ein Kompromiss zwischen den anderthalben musikalischen Leben Koçers. Der Vorab-Track »Auris« gehört schlicht zu den schönsten Dub-Techno-Tracks dieses Jahrhunderts: tapsig, auf langsame Entfaltung konzentriert und scheinbar immer gleich, doch ständig in Veränderung begriffen. Ein Tune, der die Zeit dehnt. Der wesentlich aggressivere »Nexus« überrascht danach mit Industrial-ähnlichen Klängen, erinnert aber genauso an die wilderen Momente von Porter Ricks. Er beschließt eine EP, für die sich JakoJako weitgehend auf eine Seite ihres Schaffens fokussiert und doch ihre eindrückliche Vielseitigkeit unter Beweis stellt. Ein frühes Highlight des Jahres.
Verve EP