Ich weiß noch genau, wie das alles begann – so wie man es mir erzählt hat und so wie ich es in Erinnerung habe: Torch war der erste Freestyler auf Deutsch, LSD haben hierzulande das erste Rap-Album rausgebracht, die Amis haben den Stieber Twins das Breaken beigebracht, gesprüht wurde mit Dosen von Belton und Sparvar und Feinkost ist der echte Shit, nicht bloß schlecht kopiert, hast du des kapiert. Über all das – exklusive Feinkost – wurde natürlich ausgiebig berichtet, in Büchern, Magazinen, Radiofeatures und Fernsehbeiträgen. Das Ergebnis: eine deutsche Hip-Hop-Geschichte, die sich zwischen Kiel und Biel überall herumgesprochen hat. So sehr, dass sie sich tief in die Köpfe der Heads eingebrannt hat.
Doch nun steppt Issa Franke mit akademischen Weihen in die Cypher und sagt: Nö. Denn: Die Hip-Hop-Chronisten hätten offenbar die West-Berliner Szene der 1980er-Jahre ignoriert. Vielmehr sei es so: Einige West-Berliner Breaker hätten den Kindern der in Berlin stationierten G.I.s im Youth Activity Center das Tanzen beigebracht. Der West-Berliner Andreas Berg rappte schon vor der Veröffentlichung von »Ahmet Gündüz« auf Deutsch. Die LP »It’s time« von The Alliance erschien zwei Jahre vor LSDs »Watch out for the Third Rail«. Und der heute ständig angedrohte Nackenschlag war in Neukölln schon Anfang der Achtziger in Mode.
Bleibt alles anders
All das und noch viel mehr breitet Franke in »Hip-Hop – die vergessene Generation West-Berlins. Die Entstehung einer Kultur in den 1980er Jahren zwischen Rezeption und Praxis« auf rund 200 Seiten aus .Dafür hat er die einschlägige Fachliteratur, zahlreiche Zeitschriften- und Zeitungsartikel sowie Archive von Radio- und Fernsehsendern durchforstet.Und er korrespondierte im Sinne der Oral-History-Methode mit über 20 damaligen Szene-Aktivisten und anderen Akteuren, darunter durchaus prominente Figuren wie Niels »Storm« Robitzky, Andreas »Blacky« Schwarz von Rock Da Most oder Olaf »O-Jay« Jeglitza, der bereits für die starke ARTE-Dokumentationsreihe »We wear the Crown – 40 Jahre Rap aus Deutschland« aus dem Nähkästchen plauderte.
»Hip-Hop – die vergessene Generation Westberlins« sticht aus der Masse an Publikationen zum Thema Deutschrap definitiv heraus. Was Franke herausdestillierte, liest sich trotz der Einhaltung wissenschaftlicher Standards lässig runter, konfrontiert Mythen mit Fakten, sorgt immer wieder für Aha-Momente, ist sinnvoll gegliedert und dankenswerterweise reich bebildert – und zählt ab sofort zur Pflichtlektüre.