Review

Horacio »Chivo« Borraro

Blues Para Un Cosmonauta

Altercat • 1975

1975 befand sich Argentinien in einer Krise. Die Präsidentschaft Isabel Peróns war geprägt von wirtschaftlichem Niedergang, politischem Rechtsruck und staatlich sanktioniertem Terror. Vielleicht forderte der Saxophonist Horacia »Chivo« Borraro deshalb umso vehementer musikalische Freiräume ein. Seit den 1940er-Jahren war er ein Vorreiter der argentinischen Jazz-Szene. Nun umgab er sich mit Musikern, die allesamt in den Vierzigern geboren waren. Das Sextett erkundet Traditionen, als würde sich das ganze Land in Aufbruchsstimmung befinden. Der Promo-Text übertreibt nicht, wenn es heißt: Auf »Blues Para Un Cosmonauta« klingt kein Lied wie das andere.

Opener »Lineas Torcidas« kombiniert Jazz à la Coltrane mit einer Craviola, einer 12-saitigen brasilianischen Gitarre. Der melancholische Titeltrack erzeugt einen psychedelischen Trip mit dem (damals neuen) Minimoog. »Cancion de Cuna Para un Bébel del Año 2000« träumt vor sich hin. Auf »La Invasion de los Monjes« begleitet expressiver Gesang einen wilden Ritt durch die Pampa. »Mi amigo Tarzan« lädt mit Fender-Rhodes-Grooves zum Tanz. Als Tour de Force durch disparate Einflüsse und Stimmungen wirkt das Album leider öfters langwierig. Die mäandernden Songs fühlen sich alle zwei bis drei Minuten zu lang an. Gleichzeitig bieten sie eine aufregende Kartographie musikalischer Möglichkeiten. Rückblickend war 1975 der Vorabend der argentinischen Militärdiktatur. Doch aus dem Jazz Borraros klingt das Versprechen einer kosmopolitischen Zukunft ungebrochen.