Review

Hildur Guðnadóttir

Leyfdu ljosinu (Aware The Light)

Touch • 2012

Reissue des Jahres 2023

Die Musik von Hildur Gudnadottir ist nicht groovy, funky, rockig, catchy, poppy, funny, chillig, easy oder schnell vorbei. Auch wenn sie aus Island stammt, einem der erfolgreichsten Pop-Exportländer der letzten Jahre, hat ihre Musik nichts mit Pop zu tun. Sie ist sogar das Gegenteil davon. Langsam, schwer zu verstehen, lang andauernd, ohne klangliche Referenzen, sich selbst genügend. Es ist für den auf Schnelligkeit getrimmten Musikkonsumenten eine enorme Herausforderung ihre Musik zu hören. Das knapp vierzigminütige Album besteht nur aus zwei Songs, und zwar aus vier Minuten Prelude und 35 Minuten schwer zu fassendem Soundgebilde aus Stimme, Cello und elektronischen Elementen. Wer keine Geduld hat, verliert bereits im Prelude die Orientierung, wo es hingehen soll. Doch genau das erfährt man erst ganz zum Schluss. Und den weiß man auch nur zu schätzen, wenn man wirklich den ganzen Weg zurück gelegt hat. Das Album beginnt kontemplativ mit einer tragenden, sanften Gesangsstimme, die fast nur noch seelige Stimme ist und kaum noch Gesang. Bis diese nach einiger Zeit immer wieder stechend unterbrochen wird von dem Drohen eines eintönigen dunklen Cellostrichs. Mit der Zeit nimmt das Drohen zu und die Stimme wird ersetzt durch elektronisch erzeugte, minimalistische und nach Natur klingende Bilder. Die Musik ist von ihrem stark repetitiven, hypnotisierenden Charakter bestimmt. Einfachste musikalische Laute werden zu Formeln, die immer wieder wiederholt werden, bis sie irgendwann unbemerkt ausklingen und von ähnlichen, aber in emotionalen Nuancen leicht veränderten Lauten ersetzt werden. Der stärkste Laut unter ihnen dringt im letzten Drittel an die Oberfläche, im gnadenlosen Kampf zwischen sanfter Umarmung durch warmes Licht und der beängstigenden dunklen und tödlichen Kälte da draußen. Dieser Laut mutet an wie eine sich unendlich lang brechende, schwere Welle, wie das grollende Rauschen einer übermenschlichen Kraft. Doch sie greift nicht ein, sie bleibt Zuschauer des Kampfes zwischen Gut und Böse. Bis zum letzten Fünftel kommt dieses zähe Ringen, dieses Abtasten, gänzlich ohne festen Rhythmus aus. Erst zum Schluss gewinnt die Musik an Fahrt und baut eine immer vollere und dramatischere Klangkulisse auf, die in ein mehrstimmiges und auch mehrschichtiges schnelles Cello-Stakkato übergeht. Die Schichten treiben sich gegenseitig die Tonleiter hoch und kulminieren in einem kalten und kompromisslosen Horrorfilm-Finish, dass den Ausgang des Kampfes jedoch nicht verrät und den Hörer zugleich aufgewühlt, aber auch befriedigt zurücklässt.

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