Je älter die Popkultur wird, desto mehr verdünnt sich die Spitze der vormaligen Vorhut: Unsere HeldInnen sterben. Dieter Moebius verstarb im Juli dieses Jahres und ein großes Weh ging durch die Musikszene, war Moebius doch eine der wichtigsten Figuren dessen, was uns heute als Krautrock bekannt ist. Die Situation sah so aus: Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre kam eine neue Generation deutscher MusikerInnen frisch von der Schulbank, die sie unter der Knute handfester Nazis gedrückt hatten, wollten es anders machen und taten das dann auch. Die 1971 von Moebius mit Conrad Schnitzler (2011 ebenfalls verstorben) und dem nimmermüden Hans-Joachim Roedelius gegründete Band Kluster, die nach Besetzungswechseln in Cluster und zuletzt Qluster umbenannt wurde, nah viel avantgardistische Strömungen auf und grenzte sich von nationalen Traditionen ebenso wie internationalen Hypes ab. Das kulturelle Vakuum wurde mit neuen Klängen gefüllt. Moebius und Roedelius fanden sich mit dem ehemaligen Kraftwerk- und NEU!-Gitarristen Michael Rother zusammen, um eine weitere Band zu gründen: Harmonia, die von Brian Eno einst als »wichtigste Rockgruppe der Welt« bezeichnet wurden und der er sich zeitweise anschloss. Auch auf »Complete Works«, einer imposanten Sammelbox inklusive Pop-Up-Nachbildung des Gebäudes, in das sich die Band für ihr engagiertes Projekt der Identitätsfindung abseits der Leitkultur in der niedersächsischen Einöde zurückzogen, sind die Brian Eno-Kollaborationen von Harmonia zu hören – und noch viel mehr, von dem das meiste allerdings bekannt ist. Die beiden Studioalben »Musik von Harmonia« und »De Luxe«, die 1997 erschienene Outtake-Sammlung »Harmonia ’76 – Tracks & Traces« inklusive Eno-Gastauftritt und »Harmonia Live 1974« werden lediglich von durch bisher unveröffentlichte Live-Aufnahmen unter dem Titel »Documents 1975« ergänzt. Aber was heißt hier schon: lediglich? Die zwischen freundlichem Rock, der sich gegen schwanzzentriertes Muckertum positionierte, und wegweisenden elektronischen Experimenten changierende Mischung, die auf »Complete Works« zu hören ist, schillert nach wie vor mit einer eigentümlichen Stärke. Harmonias Stärke war die Unnachgiebigkeit, die Egolosigkeit, kurzum: eine stille Revolution, der nur leider nicht vergönnt war, permanent zu werden. Denn die HeldInnen sterben leider. Die Musik aber bleibt, sie überdauert ihre zurückhaltenden Macher. Eine schönere Konsequenz gibt es für das Projekt Krautrock eigentlich nicht
Complete Works