Review Klassik

Hania Rani

On Giacometti

Gondwana • 2023

Der Himmel ist tiefgrau, der Winter viel zu lang. Doch allmählich kämpft sich zwischen den Vorhängen ein Lichtstrahl ins Zimmer. Für einen kurzen Moment riecht es nach Frühling. Hania Ranis neues Album »On Giacometti« fängt genau dieses Gefühl ein. Während hier und da die Dunkelheit die Oberhand gewinnt, siegt am Ende das Licht. Und je länger man sich durch die insgesamt dreizehn Tracks treiben lässt, desto länger werden die Tage. Die polnische Pianistin schafft ein Gefühl, das sich nur schwer erzwingen lässt. Die Atmosphäre, die in den zurückhaltenden Klavierstücken entsteht, nistet sich nicht im Raum ein, sondern baut ihn erst auf. Im einen Moment befindet man sich in fantastischen Welten à la Guillermo del Torro, im nächsten als einsamer Wanderer über dem Nebelmeer. Entstanden ist »On Giacometti« übrigens während der Dreharbeiten zu einem Film von Susanna Fanzun über die Familie Giacometti in den Schweizer Bergen. So wird das Existenzielle in Giacomettis Werk durch Hania Ranis radikale Melancholie aus dem Schweizer Tal ins eigene Schlafzimmer geholt. Im Gegensatz zu Ranis Vorgängeralbum »Home« lässt die Künstlerin auf »On Giacometti« ihre Stimme schweigen und nur das Klavier sprechen. Trotzdem wirkt »Spring« wie eine unwillkürliche Fortsetzung von Tori Amos‘ »Winter«. Kein Wunder, dass Rani zur Veröffentlichung schreibt: »I left the valley with the first breath of the spring«.