Meisterschaft erreichen Zirkuskünstler:innen, wenn sie Wahnwitziges wie Natürliches erscheinen lassen. Nur wer ohne Sicherheitsnetz tanzt, wirkt in schwindelnden Höhen erhaben. Hako Yamasakis »Tsunawatari« (»Drahtseilakt«) besteht aus zehn Klageliedern. Ihre Stimme schwebt über elegischem Folk. Sie scheint zu zerbrechen. Manchmal tänzelt sie beschwingt auf psychedelischen Riffs. Manchmal wankt Yamasaki unter schwermütigen Akkorden. Ständig droht tiefe Traurigkeit der 19-Jährigen den Boden zu entreißen. Doch souverän balanciert Yamasaki emotionale Expression und formale Reduktion. Die simplen Songs der Japanerin kombinieren Folk, Jazz und Soft Rock, als hätten diese Genres immer schon zusammengehört. Man kann fast nicht der ganzen Performance folgen. Denn 53 Minuten Tanz an der Kippe sind nichts für schwache Nerven. Doch die Künstlerin macht weiter, als stünde das Gefühlsleben einer ganzen Generation auf dem Spiel.
Heute gilt Hako Yamasaki als Ikone des japanischen Feminismus. Durch das Internet hat sie eine zweite Karriere erfahren. Auf Youtube und Spotify zählt ihr Song »Help Me« Abermillionen Klicks. Ihr melancholisches Hasardspiel trifft etwas, macht über Länder- und Epochengrenzen hinweg betroffen. Denn in bodenloser Traurigkeit verbirgt sich etwas zutiefst Menschliches. Die Reissues bei WRWTFWW bieten eine willkommene Gelegenheit, mit Yamasaki gemeinsam in den Abgrund zu starren.
Tsunawatari