Im Spannungsfeld um den privaten Rückzugsort, zwischen Zuhause und Konspiration, ist am Snowden-Sample nicht vorbeizukommen. Oder doch? Grischa Lichtenbergers Methode ist viel subjektiver, »privater«, als dass er sich auf plakative, aber auch transparente Konstruktionen einlassen würde, wie sie etwa Labelkollege Atom™ abliefert. Vor einem Jahr erschien »La demeure; il y a péril en la demeure« der erste von zwei CD-Releases, die vorliegendes Set aus drei Vinyl-EPs inklusive Siebdruck-Edition flankieren. Das alle fünf überbrückende Thema entfaltet sich hier in drei Schlüsselbegriffen, die es im 20sten Jahrhundert verankern: Spielraum, Allgegenwart, Strahlung. Benjamin, Canetti, Blanchot leuchten ihm und uns Pfade durch die technologisch überformte Landschaft, die unsere Heimat ist, und die wir auch gar nicht anders kennen. Die etymologisch unterfütterten Bezugs-Geflechte, die Grischa Lichtenberger dabei auftut dienen ihm nurmehr als Anstoß für seine Musik. Diese wiederum ist gar nicht so abweisend oder verkopft, wie man nach all dem vielleicht befürchten mag. Sein Vokabular ist vielmehr bekannt und erschlossen, von Autechre und Nachfolgern wie Arovane die in postindustriellen Field Recordings und digitalen Klirr-Fraktalen nicht in erster Linie Zivilisationskritik buchstabierten, sondern Innenwelten entdeckten. So windet sich auch die Musik im Verlauf dieser sechs Plattenseiten vom perkussiven DSP-HipHop und Glitch-Desorientierung behutsam und umsichtig voran in melodische, melancholische Tiefen in Moll; Harmonium, Piano oder Jazz-Kit unterhöhlen die scharfen Datenwirbel mit vertrauten Texturen. Auf dieser Reise erweist sich Grischa Lichtenberger einmal mehr vor allem als Musiker mit untrüglichem Rhythmusgefühl, der auf Blendwerk zu verzichten weiß und sein Werkzeug mit Souveränität handhabt, ohne darum auf Dauer zu langweilen.
Spielraum / Allgegenwart / Strahlung