Wow! Ihr Beziehungsende mit Elon Musk scheint Grimes tatsächlich neuen Auftrieb verliehen zu haben. Rund fünf Jahre liegt »Art Angels« zurück, das viele schon für die bestandene Reifeprüfung der Kanadierin als ihrer Zeit vorauseilende Produzentin hielten. Fantasievoller Electropop wurde da mit einer quirligen Vitalität interpretiert, die von Anfang bis Ende in überbordenden Produktionswerten mündete. Ähnlich verspielt, aber eine Spur atmosphärischer, klingt »Miss Anthropocene« nun wie die maturierte Fortsetzung. Schillernde Klangfarben, kristallklare Reverbs und Grimes’ präzise gelayerte Stimme definieren ihren unkopierbaren Style weiterhin. Jetzt allerdings mit mehr Futurismus, mehr Wave und artsy Anmut. Das funktioniert beim einleitenden »So Heavy I Fell Through The Earth« schon außergewöhnlich gut, setzt sich auf konstant hohem Ohrwurmniveau bei »Darkseid« oder der betörenden Weltraum-Hymne »Violence« fort, die das Popverständnis einer Maschinenelbin zu offenbaren scheint. Sowieso klingt Grimes mittlerweile wie keine Sängerin vor ihr. Sicher, da spielen Dutzende verschiedene Effekte und viel Postproduktion eine Rolle – das Mastering war vermutlich ein Albtraum. Doch macht es diese Platte noch moderner und vielschichtiger. Wie in vielen Momenten dieses Albums, ist eine kindliche Energie in den Buildups von »4ÆM« präsent, während es qua Amen-Break kurzerhand zum Drum&Bass-Track mutiert. Hervorzuheben ist auch der unerhört satte Melodieaufbau in »My Name Is Dark«, mit seinen Schwärmen modulierter Stimmen. Oder das in der Deluxe Version enthaltene Feature mit Hana, »We Appreciate Power«, in dem die Gitarren via industrieller Distortions einen legitimen Cyberpunk-Vibe unter das 4/4-Stampfen blättern. Auf lange Sicht muss sich »Miss Anthropocene« wahrscheinlich Kritik gefallen lassen, doch es ist keine kommerzielle Willkür, dass sich die Tastemaker von 4AD schon längst auf Grimes eingeschossen haben: die Frau macht weiterhin was sie will – und das verflucht gut.
Miss Anthroposcene