Es wäre wohl besser gewesen, »Avrakadavra« wäre später fertig geworden. Genauer: hätte Goldroger die Arbeit an seinem Debüt erst nach der Session namens »Live aus der Leere« beendet. Denn auf der Live-EP findet der Rapper seinen Sound: wenig Instrumentierung, viele Gedanken in viel Hall und Raum. Goldroger lässt sich erst gar nicht wie seine rappenden Kollegen auf der Cloud nieder, sondern steuert direkt den Kosmos an – mehr DUS weniger ATL. Das klingt nach Krautrap, hellwache Gedanken und weggetretene Gitarren. Zu hören ist auf der EP nichts anderes als Akustik-Interpretationen einiger Stücke von »Avrakadavra«. Doch die abgespeckten Versionen der Live-Session haben die fettere Wirkung. Manchmal ist viel eben weniger. Die Melancholie, die scharfen Beobachtungen, das gleichzeitig Träumen und unheilbar rational Sein, das alles wohnt den Songs inne, strömt auf dem Studioalbum aber einfach nicht so frei heraus. Zu unentschieden, zu kantenlos, am Ende zu »poppig« klingt das Album als Einheit. Man muss hier schon genau Texte hören, um Gefallen zu finden: in ihnen offenbart sich die ganze Stärke Goldrogers. Sie sind inhaltlich nahbar, das macht ihn sehr sympathisch, während sie so nur ganz wenige verbal umsetzen können, das macht ihn zu einem guten Rapper. Ein Fazit kann man als Skeptiker oder als Glaubender fällen. Ersterer würde sagen: Klingt, als würde Clueso jetzt rappen. Der Andere hingegen: Goldrogers Texte sind schlau und so anspruchsvoll vorgetragen, dass jeder Rapfan, das erkennen und anerkennen wird – gleichzeitig wagt er sich in musikalische Sphären, die Fans aktueller Rapmusik fremd sein dürften. Das ist mutig. Und mutige Alben braucht das Genre Deutschrap, in dem Fortschritt zu oft bedeutet, dass fünf Jahre später Ami-Rap-Trends endlich perfektioniert wurden. Was das anbelangt, kommt »Avrakadavra« zur richtigen Zeit.
AVRAKADAVRA