Fernando Falcão baute Bomben, bevor er zur Musik kam. Als linker Student und Dichter im Brasilien der späten 1960er Jahre giftelte er nicht nur an der Schreibmaschine gegen die Militärdiktatur, er protestierte auf der Straße – und ließ es einmal bumsen. Falcão flüchtete vor der Verfolgung nach Paris, trat der Impro-Gruppe um die Irgendwas-mit-Theater-Künstler_innen von Le Grand Magic Circus bei und verliebte sich in seine spätere Frau. Bis dahin eine Bomben-Geschichte, bei der Steven Spielberg vor lauter Geilheit rumsabbert wie ein Pawlowscher Chihuahua vor einem getrockneten Schweineohr. Aber es geht noch weiter – mit Mukke. Falcãos Schwiegerdaddy lud ihn in seine Werkstatt ein, um gemeinsam zu hobeln. Es entstanden Instrumente, die gleichzeitig als Installationen funktionierten. Das Ergebnis sah zwar nach Abschlussprojekt der Wilhelmsburger Sozialwerkstatt aus, erfüllte aber seinen Zweck. Denn die selbstgebastelten Bögen, auf denen der Dichter herumhackte, klangen so, wie sich Jon Hassell kurze Zeit später die Vierte Welt vorstellte. Trivial wie eine ausgenudelter Gitarrenakkord und mindestens so ramponiert – darauf hatten sogar die Pariser Existentialist_innen Bock. Das Ganze kam nämlich unterschwellig intellektuell daher, lugte hinter dunklen Ecken hervor und grinste wie ein Mitvierziger, der gerade das erste Mal vom Saft der geheimnisvollen Lianen gekostet hat. Genau der Sound, zu dem Wolf Müller heute seinen Harem zusammentrommelt, um sich bunte Farbe ins Gesicht zu schmieren, kleine Traumfänger aus Pfauenfedern zu basteln und dabei andauernd von Körper, Geist und freier Liebe zu labern. Kein Ethnoscheiß und auch kein plumper Nihilismus. Einfach nur Sound, der damals so viel Sinn machte wie heute. Dabei machte sich Falcão nichts vor, wenn er an Field-Recordings aus dem Regenwald rumschnippelte und mit ein paar Streichern die Straßen von Rio mit einer Schicht aus Grammelschmalz überzog. Ohne trötenden Fanfaren und buschigen Federboas war die Karnevals-Chose schon damals nur halb so lustig. Machte aber nix. Weil Falcão in seinem Pariser Exil offensichtlich Zeit und Muße hatte, ist aus »Memória das Águas« ein Debütalbum geworden, das bereits 1979 die Zukunft beschallte. Selva Discos legt es neu auf.
Memoria Das Aguas