Review

Ennio Morricone

Nuovo Cinema Paradiso

Music On Vinyl • 2020

Selbstverständlich konnte bei der Planung diese Reissues noch keiner wissen, wie schmerzhaft passgenau sich das Timing entwickeln würde: Als Ennio Morricone am 6. Juli mit 91 Jahren verstarb, verlor die Welt einen der größten Filmmusikkomponisten aller Zeiten. Unter den mehr als 500 Soundtracks, die Morricone schrieb, nimmt »Nuovo Cinema Paradiso« eine Sonderstellung ein: Mögen die Scores für Sergio Leones Italo-Western »Spiel mir das Lied vom Tod« und »Für eine Handvoll Dollar« auch bekannter sein, während andere wie »Days of Heaven« (Terrence Malick, 1978), »The Mission« (Roland Joffe, 1986), »The Untouchables« (Brian DePalma, 1987) oder »Bugsy« (Barry Levinson, 1991) ihrem Urheber Oscar-Nominierungen eintrugen, offenbart seine Filmmusik für Giuseppe Tornatores 1990 mit einem Oscar als bester fremdsprachiger Film prämiertes Melodram »Nuovo Cinema Paradiso« Ennio Morricones ausgeprägtes Gespür für feine Nuancen. Gemeinsam mit seinem Sohn Andrea hat der geniale Eklektiker hier parallel zu Tornatores so nostalgischer wie selbstreferenzieller Hommage an die Kunst des Kinos ein sepiagetöntes Klangbildprogramm entwickelt, das seinesgleichen sucht. Stufenlos wie mit einem Zoomobjektiv gedreht gleitet der Score von kammermusikalischer Intimität zu sinfonischem Panoramaklang, als ob eine Großaufnahme in eine Totale übergeht. Zentraler Angelpunkt und wiederkehrendes Leitmotiv ist das ikonische »Tema D’Amore«, das auch die berühmte Aneinanderreihung von Kuss-Szenen untermalt, die der Filmvorführer Alfredo auf Geheiß des örtlichen Priesters aus den Filmen, die zwischen den 1940er und 1980er Jahren in dem im Titel verewigten sizilianischen Dorfkino liefen, herausschneiden musste. Auch akustisch eine Reise in die Vergangenheit, allerdings von zeitloser Schönheit. Immer knapp vor der Grenze zur Sentimentalität, aber nie jenseits davon: eine meisterliche Gratwanderung.