War früher alles seltsamer? Für Hörer im Jahr 1983 war es vermutlich schon eigenartig, was die Herren Bruce Gilbert und Graham Lewis zusammen mit einem gewissen Daniel Miller unter dem Namen Duet Emmo herausbrachten. Der Name ein Anagramm aus »Dome«, so nannten Gilbert und Lewis ihr gemeinsames Projekt, mit dem sie einen guten Teil der Ruhephase ihrer Hauptband Wire überbrückten, und »Mute«, der Laden, mit dem Miller sein Geld verdiente, nachdem er unter dem Namen The Normal mit dem Song »Warm Leatherette« Popgeschichte geschrieben hatte. Das Resultat dieser Begegnung, »Or So It Seems«, besteht zum großen Teil aus instrumentalen elektronischen Nummern von Gilbert und Lewis, die man ihres repetitiven, zugleich luftig rumpelnden Charakters wegen annäherungsweise als Proto-Industrial-Ambient bezeichnen könnte. Manches davon hat viel mysteriöse Atmosphäre, vor allem »Long Sledge«, das mit gut 16 Minuten mit Abstand längste Stück des Albums, anderes monotonisiert etwas unschlüssig vor sich hin. Der große Gewinner bleibt Miller, der zwei loopbasierte Synthpop-Etüden beisteuerte, wobei das Titelstück zugleich der Hit des Albums ist. Die Elemente durchweg schräg, vom pochenden, kaum vorhandenen Beat bis zu den schiefen mehrstimmigen Synthesizern, alles wiederkehrende Elemente, die wie in einem Mobile unveränderlich, doch stets in Bewegung sind. Hinzu kommt der schnörkellos emotionale, mitunter etwas neben den Tönen landende Gesang von Lewis. Hat einen sehr insistierenden Charme, ebenso wie »The First Person«. Eine der besten halbgeglückten Platten, die ich kenne.
Or So It Seems Colored Vinyl Edition