Für Derya Yıldırım & Grup Şimşek ist die Vergangenheit kein Zufluchtsort, sondern ein Sprungbrett in die Gegenwart. Während eine Band wie Altın Gün Klassiker der Anadolu-Tradition aus dem späten 20. Jahrhundert als Plattensammel-Rock neu inszenieren, ist der Ansatz der in Berlin lebenden Hamburgerin und der französisch-britischen Band ein rekontextualisierender: Bisweilen Jahrhunderte alte türkische Gedichte und Texte werden mit neuer Musik verschränkt, um etwas Zeitloses zum Ausdruck zu bringen – was auch immer sie ist, diese Menschlichkeit. Auf der Mini-LP »Dost 1«, die erste von zweien, sind neben einigen wenigen nostalgisch-retroesken Tönen – der Opener »The Trip« und eine Neuinterpretation des Volkslieds »Hop Çerkez« – deswegen auch ungewohnte Klänge zu hören: Die Vorab-Single »Haydar Haydar« bringt mit schleppendem Downtempo Synthie- und Orgel-Töne mit ein, »Hastane Onu« bietet über mehr als sieben Minuten eine Art Slo-Mo-Psych-Disco-Groove und »Sunrise« ist das wohl jammigste und damit experimentellste Stück der Band. Tatsächlich: Auch wenn Yıldırıms Gesang vor Sehnsucht vibriert und die – im Vergleich zu vorigen Releases eher zurückhaltend eingesetzte – Bağlama das Klangbild dominiert, ist daraus keine Vorgestrigkeit, sondern stattdessen die volle Gegenwart herauszuhören. »Dost« schließlich heißt so viel wie »Freund*in«, und die möchten Derya Yıldırım & Grup Şimşek offenbar gerne sehr bald wiedersehen. Am besten von der Bühne aus, wie diese sechs Songs nahelegen. Schon bald folgen ihnen mehr: »Dost 2« wird noch dieses Jahr veröffentlicht.
Dost 1