Review

Conrad Schnitzler & Pyrolator

Con-Struct

Bureau B • 2015

Als Ton Steine Scherben-Schlagzeuger Wolfgang Seidel im Januar 2014 im Boiler Room Berlin aufkreuzte, war das ein merkwürdiger Anblick. Nicht allein, will der bebrillte Proto-Punk neben den anderen Acts – Lotic, Dasha Rush These Hidden Hands und Mouse On Mars – aus der Zeit gefallen schien, sondern weil er eine der merkwürdigsten musikalischen Performances der Boiler Room-Geschichte hinlegte. Bewaffnet mit einer Mappe voller CDrs spielte er ein Set, das vielerorts mit Unverständnis aufgenommen wurde. Kein Wunder: Conrad Schnitzler dessen Klänge Seidel über zwei CDJs miteinander agieren ließ, hatte das Material für ein Orchester bestehend aus 1000 Menschen, die über 1000 Kassettenrekorder 1000 verschiedene Spuren zur selben Zeit abspielen sollten, komponiert. Das ist gelinde gesagt nicht unbedingt verdaulich. Das allerdings war Schnitzlers Werk noch nie. Trotzdem aber gilt der 2011 verstorbene Komponist und Performance-Künstler zurecht als einer der einflussreichsten MusikerInnen des 20. Jahrhunderts. Denn Musik wie den zerstückelten Hyper-Trap von Lotic oder die Frickelorgien von Mouse On Mars, selbst die relativ straighten Techno-Entwürfe von Dasha Rush oder These Hidden Hands hätte es ohne ihn nicht gegeben. Nicht allein, weil er eines Tages zwei schnöseligen Düsseldorfern ihren ersten Synthesizer überreichte und diese später unter dem Namen Kraftwerk die Inspiration für Hip-Hop, Techno und viele andere Spielarten elektronischer Musik liefern sollten. Sondern weil er selbst als ewige Stifterfigur für die verschiedensten Bands und KünstlerInnen, von den Black Metallern Mayhem bis hin zur frühen Neuen Deutschen Welle, durch die Schatten geisterte. Pyrolator alias Kurt Dahlke Gründer des legendären Düsseldorfer Ata Tak-Labels und Mitglied der NDW-Band Der Plan, zollt als einer der Partizipienten der „Con-Struct“-Serie des Bureau B Sublabels m=minimal Schnitzler Tribut, indem er Material aus dem umfangreichen Archiv des Komponisten neu zusammensetzt. Dahlke unterstreicht selbst, dass er den Techno-Charakter von Schnitzlers Schaffen betonen wollte und nimmt dabei selbst entschieden Einfluss auf die von ihm ausgewählten Original-Klänge. Herausgekommen ist ein nicht immer kohärentes Album, das die facettenreiche Vielschichtigkeit von Schnitzlers Klangkosmos‘ herausarbeitet. Von Ambient Techno über wuchtige Stepper bis hin zum Trance-Finale baut Dahlke viele verschiedene Brücken zu Genres, die ohne Schnitzlers Schaffen sicher anders klängen. Dass er dabei selbst eingreift, ist wohl ganz im Sinne Schnitzlers – denn der wollte schließlich einstmals gleich 1000 Menschen zu einem interaktiven Chor gruppieren. Wie Seidels Boiler Room-Performance ist Dahlkes postums »Con-Struct« nicht nur als schöne Hommage, sondern zugleich als sinnige Fortsetzung von Schnitzlers Arbeit zu verstehen.