Die Erlöserkirche ist ein quasi-mythischer Ort. Sie diente während der 1980er-Jahre als Anlaufpunkt für die Punk-Szene Ostberlins, weil dort klandestine Konzerte veranstaltet werden konnten. »CAS-CON II – Konzert in der Erlöserkirche, Ost-Berlin, 3.9.1986« dokumentiert ein solches Konzert, mitgeschnitten wurde es vom Kassettentäter Jörg Thomasius. Das Et-Zeichen zwischen den beiden auf dem Cover genannten Künstlern derweil müsste wohl korrekterweise durch einen Pfeil ersetzt werden: Conrad Schnitzler selbst war am 3. September 1986 nicht in der Rummelsburger Kirche zugegen. Stattdessen schickte der zu der Zeit längst legendäre »Intermedia«-Künstler von Westberlin aus Kassetten mit seinen elektronischen Kompositionen in den Osten, gemischt wurden sie vor Ort von »Gen« Ken Montgomery, der ab den 1980er-Jahren im engen Austausch mit Schnitzler stand und auch nach seinem Tod im Jahr 2011 noch, unter anderem mit Wolfgang Seidel zusammen, dessen Nachlass immer wieder zur Aufführung brachte. So auch an diesem Spätsommerabend, an dem Schnitzler sein Publikum indirekt mit orgelähnlichen Tönen und sogar glockenähnlichen Klängen begrüßte – sehr kirchlich! Die 40-minütige Aufnahme umweht tatsächlich eine irgendwie getragene Stimmung, ist zugleich aber vom klassisch Schnitzlerischen Humor geprägt. Der verblüffend klare Sound und wunderbar nuancierte Mix dieses ursprünglich im Jahr 1988 auf Thomasius’ Label Kröten Kassetten veröffentlichten Album unterstreicht umso mehr die klangliche Klarheit der zwischen schwebenden Synthie-Klängen und ruckelnden Rhythmen vermittelenden Musik, die – wie so oft bei Schnitzler – wohl im Plattenladen zwischen Berliner Schule und Industrial eingeordnet werden könnte und zugleich aber elektronische Avantgarde mit Punk-Gesinnung vereint. Weshalb sie in der Erlöserkirche natürlich auch alles andere als fehl am Platze waren.
Conrad Schnitzler
Blau
Bureau B