Tatsächlich kann man sich ja immer noch fragen, warum Kamasi Washington dermaßen als revolutionärer Heiland gefeiert wird. Nichts gegen seinen großformatigen Ansatz, aber ganz ohne Vorbilder ist der halt nicht gewesen. Und auch bei ähnlich denkenden Jazzkollegen gibt oder gab es mitunter originellere Ansätze. So beim Briten Chris Bowden, der für sein 1992 erschienenes Debütalbum »Time Capsule« neben einem Streichquartett unter anderem einen Tablaspieler verpflichtete. Und damit nicht nur eine Reihe von Soundtrack-artigen Zwischenspielen, sondern zugleich diverse indische Einflüsse in seinen Ansatz einarbeitete. Was die ganze Geschichte weniger exotisch denn ausgeprägt farbig erscheinen lässt. Als eine von zahlreichen Facetten, die in dieser Zeitkapsel eingeschlossen sind. Raumfahrtverträgliche Synthesizer kommen da ebenso vor wie Funkelemente, besonders beim Schlagzeug, die zum Kontrabass-Fundament keinesfalls in Widerspruch stehen. Neben dem Saxophon von Chris Bowden gibt es gerade mal zwei Klarinetten, was die Bläsergruppe im Verhältnis zu den Saiteninstrumenten denkbar klein hält. Auch das schadet der Gesamtwirkung keinesfalls. Die Stücke variieren zwischen epischen Längen von einer Viertelstunde – noch so eine Parallele zu Kamasi Washington – bis zu Miniaturen auf Minutenlänge, die vor futuristischen Effekten keine Angst zeigen. Und mit knapp 80 Minuten langt die Platte zwar nicht ganz an die Marathondauern der Alben Washingtons heran, kommt der Sache aber relativ nah. Gut, dass sie wieder auf der Erde gelandet ist.
Time Capsule