Sein Equipment ließ er in der Ukraine zurück, als die Kriegsmaschinerie innerhalb von wenigen Tagen ins Rollen kam. Verstreute Tracks, die er über die letzten Jahren produzierte, wurden noch via USB gerettet – dann floh er nach Berlin. Bohdan Temchenko hatte als Kind seine Stimme der ukrainischen Synchronisation von Simba aus »Der König der Löwen« geliehen. Mit 13 Jahren spielt er dann erstmals in einer Metal-Band, wirft sich in die Punkszene Kiews und wird dort musikalisch wie politisch sozialisiert. Die Nächte sind lang und chaotisch, der Sound spröde wie korrodierende Spomeniks. Probleme mit damaligen Bandkollegen veranlassen Temchenko dann noch vor der Pandemie zum eingekerkerten Experiment mit elektronischen Mitteln, die das Versprechen völlig selbstbestimmter Ausdrucksmöglichkeiten auch tatsächlich einlösen – dennoch spielt er bis heute in Gruppen wie der Black-Metal-Kombo Angel oder dem Post-Punk-Outfit Lyrica. Im Sound seines Soloprojektes Chaosy verschwimmen daher die Linien zwischen Punk und Breakbeat, Detroit Techno und Dungeon Rap, den Kriegserlebnissen und dem musikalischen Impetus zu einem Graffiti transgressiver Einflüsse ohne feste Formen. Nach zwei selbst veröffentlichten Alben sollte am 24. Februar 2022 eigentlich die EP »Katakomba« über das Kiewer Label Standard Deviation erscheinen. Am selben Tag kam alles anders – der Release wurde verschoben und dient nun dieses Jahr als Prequel für das via Natural Sciences veröffentlichte dritte Album »Bad Magic«. Das wiederum ist nicht bloß ein Parforceritt durch die letzten zwei Jahrzehnte ukrainischer Untergrundkultur, vorbei an der Gegenwart in eine ungewisse Zukunft. Es ist auch ein eindrucksvoller Beleg für die autodidaktischen Fähigkeiten Temchenkos, die sich in einer dreckigen, drückenden, dramatischen Produktion niederschlagen. Da raunen Tracks wie »Jungeon« oder »Dinar« durch vermoderte Kraftwerksblöcke, die Schutz vor der sengenden UV-Strahlung bieten und nun Sakralbauten sind. Naiver Szientismus hat versagt, Voodoo und Ritualistik feiern in »Local Magic« oder dem derealisierten »Munch Scream« ihr Revival. Immer wieder spannen die acht bis zehn Tracks – je nach Version dieses Albums – immersives Kopfkino auf. Sie erzählen, jeder für sich, vom irrsinnigen Gespür dieses Typen für Modulation und Melodie, Sampling und Distortion in einem analogen Setting. Elektronische Musik wurde in diesem Jahr nur selten so instinktiv aktualisiert.
Bad Magic