Review

Cerberus Shoal

Homb

Temporary Residence • 2022

Um ihre Toten gebührend zu bestatten, legten Menschen schon lange vor der jüngeren Dryaszeit nicht nur imposante Tempel und Kultstätten an, sondern verbrannten darin auch Kräuter und Harze zu rituellen Zwecken. Myrrhe ist vielleicht das bekannteste und mitunter geschichtsträchtigste Incense dieser Kategorie und wird heute noch mit Tod, Trauer und Erinnerung in Verbindung gebracht, aber auch mit der Rückkehr zu Mutter Erde, einem finalen Gefühl von Geborgenheit. Dass Cerberus Shoal den drei Teilen ihrer fast 40-minütigen Suite »Myrrh« den Namen dieses uralten Räucherwerks gaben, passt demnach gut zur Stimmung. Auf ihrem 1999 veröffentlichten Ausnahmewerk »Homb« führt das Projekt aus Boston immerhin vor, wie eklektische Rockmusik zum Soundtrack eines inneren Films werden kann, wie sie bittere Untertöne in entgrenzte Harmonien verwebt und damit zeitlos ambivalent bleibt. Post-Rock hat sich in den Neunzigern ja sehr erfolgreich bemüht, den Widersprüchlichkeiten unseres Daseins einen Klang zu verpassen. Bark Psychosis und Slint, Tortoise und Godspeed You! Black Emperor, letztlich auch Grails und Swans richteten ein ums andere Mal cineastische Klanggebäude auf, in denen es sich zu verlieren galt. Trotz vergleichbarer musikalischer Fähigkeiten: Cerberus Shoal fristeten unter diesen Namen stets ein unverdientes Nischendasein und waren selbst Enthusiasten kaum vertraut. Unverdient vor allem deshalb, weil »Homb« bereits 1999 vieles vorwegnahm, was in den Folgejahren (wieder) en vogue im postmodernen Rock werden sollte: ausufernde Songstrukturen, surreale Ästhetik in Klang und Bild, eine der Filmmusik nahe Albumkonzeption, orientalische Skalen, dysphorische Instrumentierung – der programmatische spaced-out slow burn eben. Auch mit Kompositionen vom Umfang eines »Harvest« oder »Omphalos« demonstriert diese Band hier eindrücklich, dass sie ihrer Zeit locker zwanzig Jahre voraus war und trotz überfälligem Reissue immer noch unterschätzt bleibt.