Review

Calibro 35

Traditori Di Tutti

Record Kicks • 2013

Kunst ist das schöpferische Gestalten in Auseinandersetzung mit der Welt um sich herum. Kein Wunder, dass Italien zwischen den 1950er und 1970er Jahren die Hochburg der Kriminal- und Polizeifilmindustrie Europas war. Und dementsprechend auch den größten und bei Library- und Filmmusik-Sammlern begehrtesten Fundus an entsprechenden Soundtracks bietet. Komisch nur, warum dies heute nur noch selten passiert, findet sich dort doch nach wie vor so viel (Erzähl-)stoff wie Sand am Meer. Geben sich Calibro 35 im Titel ihres vierten Longplayers auch als »Verräter von allen« preis, so muss sich doch niemand Sorge um das Geheimnis machen, welches hier verraten wird. Diese fünf Italiener sind die unantastbare Nummer Eins in ihrem Milieu. Skrupellos legt Gitarrist Massimo Martellota in »Stainless Steel« den Schalter seines Verzerrers um, und beschwört damit die Brachialgewalt, mit der sich RATM den Weg zur Spitze erkämpften. In »Mescaline 6« wird gekonnt die aufreibende Natur eines drogen-induzierten Trips umgesetzt, indem Keyboarder Enrico Gabriella gleich zu Anfang jegliche wohltuende Harmonie beiseite schafft. Und von der rasanten, nervenaufreibenden Verfolgungsjagd, die sich Hammondorgel und Gitarre in »Giulia Mon Amour« liefern, wird mehr als ein eingefleischter Mod weggepustet werden. Von verklärt mysteriös, über haltlos abgehoben bis hin zu exaltiert triumphierend. Wenn es um die musikalische Umsetzung gefährlicher Machen- und Liebschaften geht, dann muss man heutzutage erst einmal an Calibro 35 vorbei kommen, was selbst Großmeistern des Genres wie Umiliani, Piccioni oder Cipriani in ihrer Blütezeit schwer gefallen wäre.