Review

Beth Gibbons

Lives Outgrown

Domino • 2024

Zeit hat für Beth Gibbons scheinbar eine gänzlich andere Bedeutung als für Normalsterbliche, ob musikschaffend oder nicht. Ganze 22 Jahre nach »Out Of Season« mit Rustin Man und 16 Jahre nach dem letzten Portishead-Album ist »Lives Outgrown« nun Gibbons’ erstes echtes Solowerk. Innerhalb der letzten zehn Jahre entstanden die zehn Songs, die sie zusammen mit James Ford (Simian Mobile Disco) und Lee Harris (Talk Talk) aufnahm und produzierte. Nicht nur »out of season«, sondern »out of time«, aus der Zeit gefallen, sind diese berührenden, bewegenden Lieder, die mal ganz nah und intim klingen und dann wieder die cineastisch-breitformatigen Qualitäten ihrer ehemaligen Band entwickeln. Mit Trip-Hop hat »Lives Outgrown« allerdings überhaupt nichts zu tun, ihre Stimme ist die einzige Konstante: noch immer einzigartig, so melancholisch wie zerbrechlich, so ausdrucksstark wie wandelbar. Mal nur von gezupfter Folk-Gitarre begleitet, mal von pompösen Streichern und ausgefallenen Bläsern unterstützt, reflektiert Gibbons zwischen Kinder-Chor (»Floating On A Moment«) und Vogelgesängen (»Whispering Love«) sehr persönlich über Veränderungen und Ängste, Mutterschaft und Wechseljahre, Tod und Vergänglichkeit. Gänzlich losgelöst vom Konzept Zeit ist also auch Beth Gibbons natürlich nicht – nur ihrem musikalischen Output gesteht sie so viel davon zu, bis dieser am Ende wortwörtlich zeitlos wird.