Mit ihrem vergangenen Album »The Suburbs« hatten Arcade Fire zuletzt den Zustand der Unantastbarkeit erreicht. Ihre vermeintliche Konsensfähigkeit war so fortgeschritten, dass man kein schlechtes Wort über sie äußern konnte, ohne Schaden davonzutragen. Getreu dem Motto: Was allen so gut gefällt, ist per se einfach nicht schlecht. Demnach ist derjenige, der kritisiert, der Schlechte, der Neidische, der Spielverderber. Mag alles sein, was aber nichts an der Haltung der Band gegenüber ändert. Dennoch muss man Veränderungen anerkennen und bei Arcade Fire hat offensichtlich genau dieser Prozess des Umbruchs stattgefunden. Hinfort die weinerliche Attitüde, verschwunden die folkige Stadionrock-Epicness, stattdessen will man in den Club – mit Erfolg. James Murphy, in jungen Jahren selbst mal Türsteher und heutzutage mit dem Ruf eines Indie-Dance-Papstes ausgestattet, hat Eintritt gewährt und die Geigen, Akkordeons und Drehleihern den Garderobieren überlassen, um der Band Drumcomputer, Synthesizer und Effektgeräte zu geben. Beats, Groove, Noise, Ironie, Sex: alles Sachen, die man den sonst humorlosen Kanadiern weniger zutrauen würde, aber alle auf »Reflektor«, sowie auf der zugegeben sehr guten eponymen Single zu hören sind. Was bleibt ist, das sich durch die Diskographie ziehende Motiv der Angst, das gerade zum Ende des Albums deutlich wird. Doch mit einem bislang ungekannten Selbstbewusstsein werden sogar die hymnenhaften Momente (wie auf »Awful Sound (Oh Eurydice)«) erträglich. Und wo wir gerade bei griechischer Mythologie sind: Wie bei Orpheus und Eurydike, die auf dem Cover der Platte zu sehen sind, findet auch das Album mit dem Closer »Supersymmetry« – ein Duett des vermählten Frontpärchens Win Butler und Régine Chassagne – ein Happy End: In der Supersymmetrie werden Teilchen, die sich unter einer Transformation ineinander umwandeln, Superpartner genannt. Das ist genau der Kitsch, den die Fans wollen. Fragt sich nur, wie der Konsens-Mob, dem hiermit vor den Kopf gestoßen wird, den Rest findet.
Reflektor