Review Klassik

Anthony Moore

Reed Whistle & Sticks

P-Vine • 1972

Was auch immer sich dem britischen Musiker Anthony Moore vorwerfen lässt, Etikettenschwindel gehört nicht dazu. Sein 1972 erschienenes Album »Reed Whistle & Sticks« besteht aus zwei gleichnamigen Stücken, die sich anhören, wie sie heißen: Wenn in einem post-apokalyptischen Szenario jemandem an einem windigen Tag ein Stiftehalter runterfällt (inklusive Wutschrei darüber), es würde genauso klingen. Was sich, zugegeben, nicht wie der beste Soundtrack für einen beschwingten Tag liest. Aber der heute 74-jährige Moore schaffte es durch Loops und Strukturen eine Ordnung in diesen Klang zu bringen. Was innerhalb von Sekunden fasziniert. Denn die Ordnung lässt sich nicht ausmachen. Der Rhythmus scheint sich zu wiederholen, aber wo und wann genau? Als Avantgarde-Album gehört »Reed Whistle & Sticks« zu den hörbareren Werken des Genres. Trotzdem wird es dadurch nicht greifbarer. So wie die Stöcke und Hölzer ständig fallen, aneinanderstoßen, verschiebt Anthony Moore die Muster auf diesem Album. Ein Glockenschlag steigert die Verwirrung, sein Auftauchen scheint noch zufälliger. Im Hintergrund heult kaum erkennbar etwas, was der Wind am Fenster scheint. So löst Moores Sound heute noch ein wohliges Unbehagen, ein Unwohlsein aus, weil es eben große Kunst ist, weil wir uns durch unsere Mustererkennung, durch den Wunsch nach Ursache und Wirkung hereinlegen lassen. Moore führt uns so in eine Welt, die zwar Musik und eben doch nicht ist. Eine Herausforderung auch noch 50 Jahre nach Erscheinen.