Kuhzart kümmert’s – Was wir von Chief Keef und Warpaint lernen

14.04.2014
Wie sagte Slug von Atmosphere so schön: »Not giving a fuck is so played out mainstream.« Das findet auch unser Autor. Er nimmt sich alles zu Herzen – Kuhzart kümmert‘s. Heute: Was wir von Videos von Warpaint & Chief Keef lernen.

Gestern habe ich ein Video der kalifornischen Psych-Rock-Band Warpaint gesehen und musste daraufhin über Chief Keef nachdenken. Ein wilder Sprung möchte man meinen. Doch es gab eine Brücke: das Alltägliche.

Die vier jungen Frauen von Warpaint präsentieren sich im Video zu »Disco/Very + Keep It Healthy« görenhaft, fast ordinär wirken sie in ihren Klamotten, mit denen sie wahrscheinlich sonst in ihrer Freizeit zu Ralphs schlürfen. Es passiert nichts; die vier hopsen einen Hügel hinunter. Man sieht nichts, was man so nicht zwei Straßen weiter sehen könnte. Kein spezielles Licht, keine Kunstkniffe, keine Grafiken, keine Referenzen. Seit langem habe ich kein Musik-Video so gebannt verfolgt. Warum? Weil das Ordinäre heute fast schon wieder besonders ist.

Die Werkzeuge, Illusionen zu erzeugen, werden immer mächtiger. Die Kosten sie zu nutzen – wir kennen das vom Musikmachen – immer geringer. Sämtliche MacBooks scheinen inzwischen grafische Kunstwerke auszuspucken; experimentell und eigen. Denn viele machen nicht einfach nur irgendwas mit Medien, sie machen es auch gut. So entstehen immer mehr großartige Musik-Videos für Songs, die nur solche kennen, die über Resident Advisor das Zähneputzen vergessen. Dagegen gibt es natürlich nichts einzuwenden (außer: Zähne putzen nicht vergessen!). Nur ist nach und nach der Blick für etwas Wesentliches verloren gegangen: das Wesentliche. Das, was uns umgibt. Der dokumentarische Blick. Warpaints Video nimmt diese dokumentarische Perspektive ein und fast alle Chief-Keef-Videos ebenso.

»Weil wir zunehmend in einer Welt leben, in der wir vor lauter Virtualität unsere eigentliche Umwelt ausblenden, kann es nicht schaden, wenn dann und wann etwas über unseren Schirm flackert, das uns unsere Umwelt zeigt.«

Wenn man sich Videos von Chief Keef und seinen Homeboys anguckt, die sich um die Normal Street in Chicago tummeln (bzw. inzwischen tummelten), dann sieht man Camcorder-ähnliche Aufnahmen. Man beobachtet die Akteure, wie sie machen, was sie mit großer Wahrscheinlichkeit auch machen, wenn das rote Licht nicht leuchtet. Da braucht es dann keine Noisey-Doku mehr, um einen Einblick in deren Alltag zu bekommen. Natürlich ist deren Alltag sehr verschieden von unserem und deshalb faszinierend. Wichtig ist aber: Alltag kann faszinieren. Man unterschätzt zu oft die Bedeutung von Rap-Videos dieser Art weil sie in großer Menge und ohne Tamtam auf YouTube landen. Doch liefern die Videos von Chief Keef und Co. ein ebenso wichtiges Zeitzeugnis, wie ein kunsthistorisches Referenzfeuerwerk, das technischen Know-How spielerisch auf Post-Internet-Schund anwendet.

Es geht mir darum, solche Musikvideos wertzuschätzen. Weil wir zunehmend in einer Welt leben, in der wir vor lauter Virtualität unsere eigentliche Umwelt ausblenden, kann es nicht schaden, wenn dann und wann etwas über unseren Schirm flackert, das uns unsere Umwelt zeigt. Viel zu viele Musik-Videos und Kunst im Allgemeinen bauen immer nur weitere Utopien, die zu viele junge Menschen, die mehr Zeit auf tumblr verbringen als Chief Keef auf Bewährung, in all ihrer Unsicherheit als Maßstab für Coolness o.ä. nehmen. Die hier besprochenen Videos hingegen zeigen uns etwas Alltägliches. Und das Schöne am Alltäglichen ist: Es kann sich schlecht verstellen und Coolness ist keine Kategorie, in der es denkt. Und wenn es darüber hinaus zwischen Warpaint und Chief Keef eine Brücke schlagen kann, dann kann das Alltägliche der Menschlichkeit nur zuträglich sein.