Ausklang | New Music Friday – Neue Musik von Jay Rock, Tame Impala, Ssio et al.

Woche für Woche picken wir Tracks, die uns in den vorausgegangenen sieben Tagen nicht aus dem Kopf gehen wollten, deren Release auf den heutigen Tag fällt oder einem anderen Pseudogrund unterliegen.
»Vice City (feat. Kendrick Lamar, Ab-Soul & Schoolboy Q)« by Jay Rock
taken from Jay Rock’s new LP »90059«, out now on TDE

Poah ey, Kendrick, da hast du deinen Homes mal wieder einen Bärendienst erwiesen. Nicht nur, dass Jay Rock im internen Vergleich nicht ohnehin schon genug zu tun hätte, dieses Mal gibt Kendrick auch einen Flow vor, der entfernt an die ersten Lateinstunden erinnert, in denen erklärt wurde, dass die Betonung auf die vorletzte Silbe fällt, nur dass Kendrick da nicht mitspielt und einfach ganze Zeilen unbetont lässt. Klingt umständlich auf dem Papier, macht Spaß in Audioform und ist vor allem auch komödiantisch wertvoll, wenn sich am Ende Schoolboy Q endlich traut zu sagen: K.Dot, scheiß auf dein Strebertum, ich mache was ich will. Jay Rock und Ab-Soul schwitzen dazwischen wie beim Zirkeltraining. Ganz normaler Schultag bei Black Hippy also. FA
»Chronik 3« by Kollegah, Karate Andi & Ssio
taken from the new compilation »Chronik 3«, out October 9th on Selfmade

Anders läuft es bei Selfmade, wo der Papa zu Beginn mal wieder den Bizeps ordentlich einölt, bevor das patentierte Punchline Tiki-Taka losgeht. Anders als bei Black Hippy ist das was der Chef hier zu Beginn vorgibt Karate Andi und Ssio herrlich egal. Andi besticht mit dem schönsten Koran-Simile seit langem und Ssio kichert sich einen weil er im Unterhemd auf deiner Hochzeit auftaucht. So unverkrampt war Selfmade lange nicht und auch beatwise scheint man im neuen Jahrzehnt angekommen zu sein. Kurzweilig, aber eigentlich vor allem auch eine Erinnerung daran, dass das neue Ssio Album nicht schnell genug kommen kann. FA
»All Around And Inside« by Anthony Child
taken from Anthony Child’s new LP »Electronic Recordings from Maui Jungle Vol. 1«, out November 15th on Editions Mego

Surgeon machte in den letzten Monaten mit Support-Slots für Lady Gaga und einer Menge Re-Issues über sich reden. Die Humorlosigkeit letzterer stellte einen gediegenen Gradmesser für die Reaktionen von Surgeon-Fanboys auf erstere Tatsache. Anthony Child wird sich darüber aber nur in den Rauschebart gekichert haben. Mir gingen die Befindlichkeiten meiner Follower allerdingsebenfalls hintendran vorbei wenn ich statt mit deren Erwartungshaltungen im Dschungel von Maui mit analoger Hardware spielen könnte. Allerdings habe ich nicht viele Follower und die meisten von denen sind sowieso Bots, was bei nochmaliger Überlegung diese Blubbertronics-Etüde fast zum Affront werden lässt. Andererseits: Alle Techno-Ultras dieser Welt werden wohl voll hiermit konform gehen. Hm. KC
»Solution« by Morah
taken from Morah’s debut EP »Route«, out October 5th on Return To Disorder

Worauf sich alle umso mehr einigen werden können: Dass auf Helena Hauffs neu gelaunchtem Label Return To Disorder genau solche Sounds zu erwarten waren. Morah ist ein griechischer Produzent, der in Athen Parties schmeißt und unter anderem so Geschmacklichkeitsgaranten wie Florian Kupfer, The Exaltics oder Berceuse Heroique-Betreiber ΚΕΜΑΛ für seinen Phormix-Podcast einlädt. Das malt schon einen ersten Eindruck vom Sound seiner Debüt-EP auf die Frontallappen und richtig: Ölig und doch staubtrocken flext sich hier jemand durch die Ablaufrinne des Lebens. Highlight: die Plinker-Plonker-Rumms-Rumms-Hymne »Solution«. Alles nicht überraschend, das aber mit Effet. KC
»Stationary Dance« by Savant
taken from Savant’s new album »Artificial Dance«, out now on Rvng Intl

Was bei Morah plinker-plonker-rummst, bing-bing-slap-boingt bei »Stationary Dance«, einem repräsentativen Eindruck aus dem großartigen Savant Album, auf dem Kerry Leimer zur Hochzeit des Eno-Takeovers sich eine imaginäre Band zusammenstellte und diesen Talking Heads Funk mit allgemeiner Schrulligkeit verband. Wer sich bei obskuren Codek B-Seiten die Finger leckt, wird hier die ganze Hand brauchen. FA
»You’re So Cool« by Nicole Dollanganger
taken from Nicole Dollanganger’s new album »Natural Born Losers«, out now

Gothic Lolita-Ästhetik erreicht jetzt also… Soundcloud. Ich habe bis vor Kurzem noch nie etwas von Nicole Dollanganger gehört, eine kurze Recherche aber bringt Folgendes hervor: Pinke Rüschchenkleider, Ledermasken, Freddy Kruger-Obsession, Support von Grimes und ein zittriges Folk-Cover von Marilyn Mansons »The Nobodies«. »You’re So Cool« bringt das alles unter einen Hut und klingt wie Lana Del Rey durch das Alternative-Depri-Rock-Kaleidoskop der endenden neunziger Jahre gefiltert, implizierte High-School-Splatterszenarien und Schmacht-Chorus mit Crooner-Beilage inklusive. Mein 16jähriges Selbst würde ihr das »I’m yours forever« direkt zurückhauchen, bei der abgehalfterten Endzwanzigerexistenz reicht’s zumindest für beseelte Nostalgie und ein sehnsüchtelndes Tränchen im Knopfloch. KC
»Let It Happen (Soulwax Remix)« by Tame Impala
À propos Teenage-Träume. Das letzte Mal, als Soulwax irgendwie relevant für mich waren, trug ich noch braune Cordhosen und verbrachte viel Zeit damit, im Stadtpark von Buxtehude (kein Witz, so witzig das auch ist) des Nachts Gitarre zu spielen. Tame Impala hingegen fand ich nie relevant, sondern eher nebensächlichen Indie-Psych für alle, denen die letzte Animal Collective zu weird war, manchmal in Diskussionen über Musik unironisch das Wort »handgemacht« verwenden und sich »Innerspeaker« als Highlight ihrer zu zwei Dritteln von Mama und Papa geerbten Vinylsammlung promiment ins Billy-Regal stellen. Der Soulwax-Remix von »Let It Happen«, dessen Original ich nie gehört habe, bringt aber zwei Geschmacksgenerationen zusammen und damit das, was eigentlich nicht zusammen gehört. Aber das war ja schon immer Soulwax‘ Stärke, insofern: Alles gut, verdammt gut bis leider geil. KC
»I Am Someone (Damiano Von Erckert Remix)« by Ed Lee
taken from the new 12inch »I Am Someone«, out now on Compost

Wen es immer noch gruselt, dass er damals auch auf Soulwax reingefallen ist (auch ich: schuldig), folge mir: Damiano Von Erckert beweist auf seinem Remix für Ed Lee direkt wieder, dass man mit genug Selbstvertrauen und Talent auch das D im Herzen tragen kann und zimmert mit viel Wah-Wah eine flotte (grob überschlagen 125+ BPM) Kölsche Variante von Moodys legendärem Norma Jean Bell Remix auf das frisch gebonerte Parkett. FA
»Love Slidn« by Mozzy
Zum Schluss nochmal Rap. »Love Slidn« ist angeblich schon Mitte Juli erschienen“, aber wenn irgendwo ein laszives Saxophon-Sample auftaucht, zu dem man sich zwei Königstiger auf den Balkon stellen will, dann gelten hier diese Aktualitätsdogmen nicht mehr. Mehr Sax, immer, bitte. Und endlich wieder „sowas hier . Da fällt auch nicht ins Gewicht, dass ich mich auch nach sechsfachem Repeat an kein gerapptes Wort erinnern kann. FA