Zwölf Zehner – September 2012

09.10.2012
Willkommen im Oktober. Doch vorher lassen unsere Kolumnisten vom Dienst den Monat September musikalisch Revue passieren und destillieren in ihrer Kolumne Zwölf Zehner die wichtigsten zehn Tracks des Monats.
Kein anderer Track auf »Cruel Summer« verdeutlicht den Larger-than-life-Habitus der G.O.O.D. Music-Familie anschaulicher als »Clique«. Die erste Strophe von Big Sean, die schenken wir uns trotzdem, dafür spielt er weder lyrisch noch finanziell in einer Liga mit Jiggaman oder Kanyeezy, gerade wenn sich diese auf »Clique« in Bestform präsentieren. (Aber wir mögen dich trotzdem sehr gerne Sean, denn spätestens nach deiner Kooperation mit unserem Liebling Terius bist du uns richtig ans Herz gewachsen, außerdem ist deine Stimme immer wieder für eine Hook gut).
Strophe Zwei? Shawn Carter überzeugt mit authentischem Money Rap, authentisch vor allem deswegen, weil kein anderer selbstgemachter Rapmäzen seiner Generation gleichermaßen Attitüde und Rapskills auf sich vereinigt, ohne gleichzeitig eine ganze Schar Ghostwriter auf der Gehaltsliste stehen zu haben. Müßig eigentlich darauf hinzuweisen, aber polemische Seitenhiebe auf Dr. Dre sind dieser Tage ausdrücklich erlaubt und auch erwünscht. Zudem beweist er auch Humor, der Papa Shawn, darüber haben wir uns mit Kollegen Kunze bereits in Privatkorrespondenz köstlich unterhalten und erfreuen uns auch nach wiederholtem Hören abermals über die gemeine Ausgrenzung der Ex-Gattin seines Busenfreunds Nasir Jones. Kelis heißt diese, auch wenn sie heute keine Rolle mehr spielt. Eine Rolle spielt hingegen die Superstarfreundin des dritten Protagnisten in der Runde, der nicht müde wird, diesen Umstand in jedem seiner letzten Songs auch ausdrücklich zu erwähnen. Dieser Kanye. Machen wir uns nichts vor: »Clique« is all about Kanye. Je mehr sich dessen Jovialität ins Unermessliche potenziert, desto mehr gefällt er uns! Auf »Clique« steigert sich sein Snobismus von Zeile zu Zeile: Frühstück bei Gucci, Small Talk in der Nachbarschaft mit Größen von CIA und Scientology, ein kurzes Auslassen und Unverständnis gegenüber den Weißen, das ihn zu der Erkenntnis führt, sich wie ein Israeli zu fühlen. Hä? Ergo: Der ganz normale Größenwahn eines unamerican Idols, der mittlerweile wie Elvis verehrt wird.
Das Gute an Kanye ist die brutale Ehrlichkeit seiner aufgeblasenen Arroganzdarlegung, weil sich diese textlich zum Ende hin zu einer Katharsis erstreckt und reinigende Wirkung erzeugt. Nahezu rührend wie er von der Depression berichtet, die der Tod seiner Mutter in ihm auslöste. Tragisch daran, dass Kanye zwar nicht an Selbstmord denken wollte, dennoch die falschen Schlussfolgerungen zog, wie die Referenz zu seinem Frühwerk und »Jesus Walks« in der Schlußzeile zu suggerieren scheint. Nichtdestotrotz, für uns bleibst du weiterhin einer der Allergeilsten, Kanye!

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Dem Output des Raider Klans zu folgen, ist selbst als großer Sympathisant ein Full Time Job. So verwundert es auch nicht, dass wir einen der fünf besten Spaceghostpurrp Beats to date erst einige Wochen später auf Youtube entdeckten. »Black Swamp« wurde zuvor bereits von einem 2.7.5. Ergänzungsspieler relativ lieblos berappt, so lieblos, dass wir sogar schon wieder vergessen haben, von wem. Erst als für sich stehender Track weiß man dann auch zu schätzen, was Purrp hier wieder in einer seiner 20h-Sessions aus seinem Billig-Equipment gequetscht hat. Ein Ginuwine-Rülpser, herrlich übersteuerte Drums und ein böses Mystic Stylez meets Wu-Tang Forever Loop bilden die Grundelemente für einen Beat, für den diese ganzen übermotivierten Trap-Atzen ihre limitierten Colorways und ihre Mutti hergeben würden. This is Pony In The Trap, sons!

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Robert Hood
Motor: Nighttime World 3
Musicman • 2012 • ab 43.99€
Das neue Robert Hood Album ist super, wie bereits hier erwähnt. Am supersten ist Hood auf »Hate Transmissions«, weil er hier die Leinen komplett loslässt und diesen unglaublich eleganten Detroit Techno alter Schule mit feisten Acid-Figuren anreichert, die jedoch immer wieder abebben und deshalb umso graziler wirken. Eine siebeneinhalbminütige Blaupause dafür, wie das gehen könnte und sollte mit der Nachlassverwaltung.

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Losgelöst vom ganzen Based-Klamauk und L.-Ron-Hubbard-In-Sympathisch-Habitus macht Lil B auch hin und wieder sehr bemerkenswerte Musik. »Based Jam«, der Titeltrack seines dreizehnten (!) Mixtapes im Jahre 2012, ist einer dieser gar nicht so seltenen magischen Momente, in denen das alles zu großer Kunst mutiert. Über ein lässiges Soul-Sample aus den frühen 80ern (eines der Sorte, bei denen man sich 200% sicher ist, es zu kennen, aber auch nach Wochen und trotz Google immer noch keine Eingebung hat) rappt Lil B in entspanntestem Duktus über das Game, das ihn immer wieder ungebeten anruft, darüber dass er auf der Bank nichts verloren hat und wir doch eigentlich alle total mit Talent gesegnet wurden. Oder wie er es selbst, bescheiden wie eh und je, formuliert: WOW TRUE FACTS! LIL B TELLING THE TRUTH IN LYRICS!

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Ital / Magic Touch
Anywhere You Want Me
100% Silk • 2012 • ab 9.09€
Dass einer von uns ein fieser Whirlpool-Fanboy ist, lassen wir gar nicht aussen vor. Die Freude über den zumindest einmaligen Zusammenschluss der Geistesbrüder Köhncke, Nieswandt und Clark raubt uns auch nicht jegliche Objektivität, so dass wir unvoreingenommen zugeben können, dass der Remix zur Knef’schen Berlin-Hynne »Das ist Berlin« zu Beginn reichlich beliebig, ja langweilig, daherkommt. Spätestens aber, wenn der Track nach drei Minuten zur Ruhe einkehrt, kurz das Reibeisen der ollen Hildegard in den Vordergrund rückt um sich daraufhin in einen euphorischen Disco-Stampfer aller ersten Güte zu entladen, in der sich Orgel und Klavier einen galoppierenden Wettlauf mit dem rollenden Basslauf bieten, ja dann, dann sind wir der redlichen Gesinnung beraubt und fordern mit Nachdruck ein neues Album von Hans, Eric und Justus. Und eine Weltreise, town across town ich verspreche euch, everybody is trying to get down

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Blu, der alte Eso-Backpacker, kann sich strecken wie er will, mit seinen neuen sauberen blueberry Chucks, passend ausgewählt zu seinen Chuck Berry socks, nippend an seinem Cranberry Scotch, zieht er im Zeitgeistduell gegen den Größenwahn der A-Liga um Jay-Z, Kanye, ASAP und Konsorten stets den Kürzeren. Was sucht er dann in den Zehnern, goddamn? Zur Erklärung dürfen wir eine weitere Referenz zur A-Liga heranziehen, die für Blu nicht unbedingt positiv daherkommt. Aber wie niederschmetternd dürfte für ihn denn bitte sein, dass eine als Hook dienende Line des großen Gifted Unlimited Rhymes Universal die belanglose Aneinanderreihung seiner Verse gänzlich obsolet macht? Passendes Zitat des dem Kommentarbereich von 2dopeboys „I want to like this, but those vocals make it hard as fuck to enjoy the song.“ Dieser Guru, wie gerne hören wir doch seine Stimme. Vielleicht ist es aber auch nicht irgendeine Line, die uns ganz wuschig macht, vielleicht ist es die Guru-Line überhaupt! Auch der Beat drückt und erinnert mit der kurzgesmpleten Klampfe an einen besseren Madlib späteren Lootpack-Zeiten. Zum Schluß klaut Blu dann auch noch bei Biggie, aber dank dem King Of Monotone sei ihm auch das verziehen.

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Ital / Magic Touch
Anywhere You Want Me
100% Silk • 2012 • ab 9.09€
Den Blindkauf-Sticker musste 100% Silk 2012 an andere Labels weiterreichen, nichtsdestotrotz passiert auch dort noch Spektakuläres, vor allem wenn die erste Garde wieder im Einsatz ist. Die beiden BFFs Ital und Magic Touch remixen sich auf dieser EP jeweils gegenseitig und alle vier Tracks atmen mal wieder den minzfrischen Duft der goldenen House-Ära zwischen 1986 und 1996. Itals Remix ist mit seinem Knight Rider’esken Sample, dem sich immer weiter in den Mittelpunkt crescendoenden Gospel-Vocal, den neonfarbenen Synths und wunderbar aufdringlichen Claps vermutlich der Gewinner, aber generell kann man mit Silk030 nichts falsch machen.

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Ähnlich wie Robert Hoods Album ist auch »Techno Primitivism« ein Techno-Monolith epischen Ausmaßes. Kein Wunder also, dass sich die Herren Aigner und Okraj zunächst nur einig waren, dass daraus mindestens ein Track hier auftauchen müsse. Die Selektion an sich lief dann so: »Echomate?« »Dick! Aber warte!« »Ja?« »Shakshuka Dub, spiritual!« »Von mir aus, auch super!« »Track For David, son!«»Pick one, Tyson, Jordan, Game Six!« »Okay, dann Shakshuka!« Neben einem unheimlich dämlichen Faible für noch dämlichere Anglizismen unsererseits, verdeutlicht dies vor allem, wie grandios Juju & Jordash hier in die Breite programmiert haben, aber »Shakshuka Dub« ist mit seinen Spaghetti-Western-Akkorden, den Lee Perry-Referenzen, der Chicago-Bassline und diesen nervösen, aber dennoch immens groovenden Drums sicher mehr als nur eine Verlegenheitslösung.

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Was ist eigentlich los mit diesen ganzen jungen Schönlingen? Bechern die ganze Zeit Codein, lullen uns mit ihrem Zeitlupen-R&B ein und tun dann so, als ob es völlig in Ordnung wäre, auf die ganzen ollen Balzrituale zu kacken, nur weil man im gleichgültigen Ton fieseste Kopulationsbefehle nuschelt? Jeremih war vor einigen Jahren bereits als Geburtstagssex-Dienstleister in Erscheinung getreten, jetzt hat er mit »Fuck U All The Time« wieder eine solch postmoderne Köpersaft-Hymne, die Luther Vandross und Barry White gleichermaßen aus den Wolken heulen lässt ob ihrer Unverschämtheit, geschrieben. Dass Shlohmo diese Dreistheit auch noch gechopped & gescrewed hat, ist nur folgerichtig. Wenn jetzt jemand noch Drake dazu bewegen kann, 5-6 schwer verliebte Zeilen dazuzuschmonzen, dann landet das beim nächsten Mal noch weiter oben; so lange bestehen wir jedoch auf die Erziehungsmaßnahme im Schlussdrittel.

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Liebe DJ‘s! Spielt diese Platte im Club! Ihr braucht sie auch gar nicht zu mixen. Fade in, fade out. Traut euch was! Endlich mal! Zugegeben: Diese verzerrten, einem einfachen Pattern folgenden, Synths, sie blasen euch im ersten Augenblick wohlmöglich die Tanzfläche leer! Die vielen Offzeiten, in denen Willie Burns hier nonchalant die Drums einfach raus nimmt, sie sorgen für weitere Betroffenheit. Der Delay auf den Snares, der diese wie Kanonenschüsse gewittern lässt, lässt euer Publikum in Panik verfallen und sich darüber den Kopf zerbrechen, ob der Kellner MDMA in den Bull untergemischt hat. Und wenn diese klaustrophobische Stimme den »Overlord« anstimmt, habt ihr die Meute allerspätestens in Gedanken an den düstersten Provinz-Warehouse-Rave geballert. Verwirrend ist diese Platte. Düster, stumpf und komprommislos. Aber auch: Eine Offenbarung. Eine, die bei jedem weiteren Hören eine höhere Platzierung rechtfertigt. Spätestens dann in den Jahrescharts.

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