Zwölf Zehner – November 2012

28.11.2012
Willkommen (fast) im Dezember. Doch vorher lassen unsere Kolumnisten vom Dienst den Monat November musikalisch Revue passieren und destillieren in ihrer Kolumne Zwölf Zehner die wichtigsten zehn Tracks des Monats.
Zugegeben: die Zeiten, in denen ein Pusha T Feature feuchte Hände und nervöse Zuckungen bei einem der sich hier verdingenden Kolumnisten auslöste, sind dank der absurden Produktivität des einen Thornton Bruders in der Post-Clipse-Ära vorbei, was jedoch vor allem dem Umstand geschuldet ist, dass man an etwa fünf Tagen der Woche seinen ersten Espresso zu einem neuen Pusha T 16er trinken kann. Good times eigentlich. Wer nun konkret dafür verantwortlich ist, dass der Herr auf »This Feeling« seine Tales from Louis V and AMG zum käsig-geilsten Saxofon seit »Careless Whisper« erzählen darf, ist mir auch nach intensiverer Google-Recherche nicht bekannt. Fest steht aber, dass »This Feeling« hoffentlich endlich die Ära des Yacht Rap einläutet. Und dieser Mayalino, dessen Song das pro forma ist, darf dann zumindest die anwesenden Head Honchos mit Kaltgetränken und Snacks versorgen. Warum wohne ich eigentlich immer noch nicht in South Beach?

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Bintus
Point Counter Point
Power Vacuum • 2012 • ab 10.99€
Die dritte Power-Vacuum-Veröffentlichung schließt an die Kompromisslosigkeit der Vorgänger nahtlos an. A oder B-Seite, beide ganz groß! Da wir uns dieser Tage aber eher seltener mit finsterem Electro befassen, wollen wir diesen Mangel beheben und stellen folgerichtig die A-Seite in den Fokus. »Point Counter Point« schleudert erbarmungslose, voluminöse Drums nach vorne, die von esoterisch-kosmischen Samples (ist das eine japanische Biwa?) umschlossen werden. Klingt nicht nur diametral, ist es auch. Aber aus diesem Grunde ist es auch so gut. So skizziert der Bass der brutal hart einschlagenden 909 klaustrophobische Enge, die von der klanglichen Offenheit der zusätzlichen Elemente aufgefangen wird. Manche mögen dort – ganz im Sinne der Cybotrons und Drexciyas dieser Welt – eine gewisse weltraumphilosophische Deutung reininterpretieren, wir nicht. Denn trotz alldem klingt das ganze vor allem: hundsfunky!

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Zodiac
Zodiac
Vase • 2012 • ab 10.39€
Ob Jeremy Rose nach dem unangenehmen Verleumdungsstreit mit The Weeknd bewusst das Pseudonym eines legendären Serienkillers angenommen hat, ist fraglich und eigentlich auch nicht besonders relevant. Viel relevanter ist, dass Zodiac, wie sich Rose auf seiner ersten EP für Jacques Greenes Hipster-Mecca Vase nennt, ein facettenreicher Produzent ist, auch ohne Abel Tesfayes postmodernen Fatalismus. Am ehesten mit »House of Ballons» zu vergleichen ist die Kollaboration mit Jesse Boykins III, wirklich begeistert hat uns jedoch der melancholische Cut-Up-Funk von »GirlGirlGirl«. Zodiac klingt hier wie Clams Casino in bipolar, Fanfaren-Fetzen konkurrieren mit dieser typisch-vernebelten purpurnen Entschleunigung und obwohl die Vocalschnippsel uns eigentlich nicht viel erzählen (di-bi-di-bi, aaah-oh, diiiip-diiiip-dip ?!?), wird man den Eindruck nicht los, einer bedeutungsschwangeren Séance beizuwohnen. Und wer es gerne in abgedroschenen Symbolen hätte: ein Wintertag, an dem die Sonne vorsichtig immer mal wieder hinter den Wolken hervorlinst.

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EZLV
Selfish Beat
100% Silk • 2012 • ab 10.39€
Eine Platte, die der guten Laune und Samplefreundlichkeit von Deee-Lite, der unverblümten Käsigkeit und Siebziger-Affinität von Disco-House Mitte der 90er und den frühzeitlichen Filtergelüsten von French House gleichermaßen frönt, die erscheint heutzutage natürlich auf 100% Silk. Nicht dass das besonders innovativ wäre, denn der Ehrlichkeit halber sei gesagt (und weil einer von uns das French House-Ding so richtig gelebt hat!): Solche Platten erschienen anno 2000 im Wochenrythmus auf Labels wie Black Jack Riviera Crydamoure und – hell yeah – natürlich Sunshine Groove Nun darf Innovation nicht der einzige Maßstab sein in einer Zeit, in denen ohnehin alle wie Kerri Chandler klingen wollen (lesenswert dazu,) daher würdigen wir 100% Silk für die angenehme Brise Spaß und Naivität, die sie der unnötig strengen und verkopften Dance-Music-Szene bereiten.

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To wear one’s heart on one’s sleeve: eines der schönsten englischen Idiome und auch nach »Tender Tendencies« lässt sich als Synonym hierfür online nirgendwo Terius Nash finden. Dabei wäre das langsam überfällig. Auch auf dem 1977-Bonuscut legt The-Dream furchtlos alles auf den Tisch: Geheimnisse, Unsicherheiten, Zweifel, Lügen und am Ende ist er sich auch nicht zu schade dafür um einen Rückruf zu betteln, weil doch der ganze Raum noch nach ihrem Parfüm riecht und überhaupt. Nun gut, klingt nach R&B-For-Dummies, aber so ehrlich und so gebrochen, so unsicher und gleichzeitig maskulin verarbeitet seit Jahrzehnten dennoch keiner mehr das auch musikalisch beliebteste Sujet aller Zeiten. Das wussten wir zwar alles schon vorher, aber nach etlichen Monaten ohne neues Material unseres Troubadours geriet das etwas in Vergessenheit. In diesem Sinne: schön, dass es dich gibt, Terius!

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Dieser Delroy Edwards scheint ein geiler Typ zu sein. Gibt auf seinem Soundcloud-Account ausschließlich Ghettotech, Footwork und Booty House zum Besten (ihr könnt das Kind ja selber beim Namen nennen). Ruft aber sein Buddy Ron Morelli aus New York an und fordert neue Tracks für dessen Label-Dominizil L.I.E.S. ein, legt Delroy den Schalter um und produziert schnörkelose, industrielle Techno-Banger, bei denen man die Verspieltheit schon mit der Lupe suchen muss. Auch »Feelings« ist einer dieser zeitlosen unkompromierten Tracks, die brachial nach vorne getrimmt werden, angetrieben von einer offenen Hi-Hat der 909, ständig im Fluss der verstörten, angekratzen Kickdrum. Bei näherer Betrachtung aber, quasi im Schatten des stampfenden Grooves, fördert Edwards etliche kleine Ingredienzen zutage und befeuert den trockenen Techno mit allesamt kleinen Versatzstücken, dass es nur so um die Wette tweakt. Die gute alte Relief -Schule eben.

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Vessel
Order Of Noise
Tri Angle • 2012 • ab 16.99€
Vessel ist gerade neben Darling Farah der andere – äh – Darling, der als Actress’ Thronfolger auserkoren wurde. »Order Of Noise» ist aber auch ein wunderbar verschobenes Album, die Hochjazzerei verständlich und berechtigt. Nicht zuletzt auch wegen »2 Moon Dub«, einem schrägen Update zu Dub in seiner ursprünglichen Form, eine rollende Bassline ordnet allerlei Spinnereien, die Basic Channel Flächen und digitalen Quietschereien feiern nach der Hälfte einen Pyrrhussieg bevor der Bass sein Revier erfolgreich verteidigt. So würde Dubstep in seiner Ausgangsform heute klingen, wenn nicht so viele Dinge schief gelaufen wären.

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Mag unser Mann Alex Omar Smith in diesem Jahr auch keine wundersamen Werke wie »Psychotic Photosynthesis«, »The Further You Look – The Less You Will See« oder »Here’s Your Trance, Now Dance!!« produziert haben, die ihm in den letzten Jahren allesamt allerhöchste Chartplatzierungen einbrachten, so ist er zum Jahresende mit einem Hit präsent, und liefert Anschauungsunterricht in einer seiner Kernkompetenzen. So layert‘ er auf »Mayall II« eine unverwechselbare Synth Marke FXHE Schicht für Schicht auf das schüchterne Percussionparkett, bis diese langsam aber zielstrebig auch in die letzte Synapse vordringt und mehr natürliche MDMA produziert, als es im Berghain Sonntagmorgens um 9 zu holen gäbe.

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Roland Kaiser Wilhelm und Sebastian Ingenhoff musizieren gemeinsam als Camp Inc., sind vor allem im Kölner Raum für euphorische Auftritte mit analogen Klangerzeugern aller Art berüchtigt und veröffentlichen ihre Klangerzeugnisse selbstredend bisher nur auf Musikkasette Zur feierlichen Einweihung ihres Soundcloud-Accounts lassen sie sich nicht lumpen und bieten daher einen ihrer bisher besten Tracks feil, der sich mit keinem leichteren Thema als der Kastrations Casanova beschäftigt. Humor haben sie also auch. »Casanova’s Castration (in The Castro)« jedenfalls pendelt zwischen hedonistischer Disco und düsterem Acid-Tempel, bietet dem sphärischem Sample zu Beginn viel Raum, deutet mit einem ominösen, nach Mönch-Chor klingenden Hall das Unvermeidliche an und überführt Casanova mit Acid-Ekstase letztlich ins Eunuchen-Zeitalter.

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Man hätte es wissen können. Dass einem minderjährigen High School Dropout aus Chicago, mit fragwürdigen Modepräferenzen, die Absolution von Weltöffentlichkeit, Kanye und Jimmy Iovine nur bedingt in der Adoleszenzphase hilft, man hätte es verdammt nochmal wissen können. Nun hält sich Chief Keef also für »Kobe«. Am Beat ist natürlich Young Chop und wir haben seit dem frühen Soulja Boy selten eine ähnlich geil grenzdebile Selbstüberhöhung gehört. Da wird zur immer gleichen Pointe hard gestuntet, die Damenwelt bekommt so viele Slam Dunks, dass sie an Freiwürfe grenzen (was auch immer das bedeutet) und ein ausdifferenziertes Geldscheinsystem für die vollen Hosentaschen präsentiert. Ach Rap, du kannst so einfach sein und wir mögen dich dafür.

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