Zwölf Zehner – Juni 2013

12.07.2013
Willkommen im Juli. Doch vorher lassen unsere Kolumnisten vom Dienst den Monat Juni musikalisch Revue passieren und destillieren in ihrer Kolumne Zwölf Zehner die wichtigsten zehn Tracks des Monats.
Kanye West
Yeezus
Universal • 2013 • ab 17.99€
Zur Review
Ich überlege nun schon seit knapp vier Wochen, ob Kanye West in seiner Karriere einen Track gemacht hat, der das Enigma mit pathologischem Messiaskomplex besser erfasst als »Hold My Liquor«. Bisher erfolglos. Uns Yeezus lässt hier Hip-Hops Indie-Go-To-Tränensack Justin Vernon mit oder besser gegen Chicagos erfolgreichstes Schmuddelkind harmonisieren. Gut, Versuche solcher vorsätzlichen Clash of Cultures gab es viele, es ist aber immer wieder West, West und nochmal West, der so was dank seiner prismenartigen künstlerischen Identität zusammenführt. Der große Shawn Carter lümmelte satt und ausgebrannt mit Chris Martin im Beach Chair, Kanye bekommt einen Tobsuchtsanfall, wenn das mit seinem Croissant in Paris (mit stummem S, bitte) zu lange dauert und irgendwie ist das zwischen all diesen megalomanischen Yeezy-Ismen wieder so unendlich traurig und zerrissen. Dabei könnte es doch so gemütlich sein auf dem Thron.

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Jay-Z
Magna Carta Holy Grail Deluxe Edition
Virgin • 2013 • ab 6.59€
Hova, »Picasso baby« und die Widersprüche, am besten doch gleich einspruchsfrei nachzulesen in der Rezension des Kollegen Kunze. Hova und die Kunst, der Basquiat am Esstisch, der Koons-Ballon, den er am liebsten steigen lassen würde, und die Warhols, ach, die sind doch einfach überall. Hova und die Frauen, liegt er doch jeden Morgen neben einer neuen Mona Lisa, bei der das Gesamtpaket einfach besser ist als bei dieser anderen Olle – nicht der von Slick Rick sondern der von diesem Da Vinci Guy. Und die andere Frau, mit der er doch einfach nur spazieren gehen würde, wären da nicht immer diese Menschen überall, wohlmöglich eben auch jener Grund, warum Jigga sich all dieser Ersatzbefriedigung bemächtigt. Vor allem aber auch: Hova und die Beats! Unstrittig, dass Timbaland sich hier dreist einfach an der Samplevorlage orientiert. Unstrittig aber auch, dass er damit auch den bombastischsten Primo-Beat seit Mathematics oder So Ghetto aus dem Ärmel schüttelt. Jay-Z und dieser Song, oh what a feeling.

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Begründen wir das späte Erscheinen dieser Kolumne doch einfach damit, dass es es schon eines passenden Wetters bedurfte, das diesem lausbübisch infantilen Calypso-Groove gerecht wird – und das ist im unvergleichlichen Juli 2013 nun einmal Mitte Juli. Der ist ohnehin traditioneller Swimmers-Monat – spätestens seit Juli 2011, als der Kollege und und ich Andrew und Ari bei Relaxed Clubbing in Konstanz huldigten und (mindestens!)eine Top-3-Clubnacht des vergangenen Jahrzehnt erlebten. Schwelgen wir aber nicht weiter in Erinnerungen und lassen auch die Wetterunpässlichkeiten beiseite, aber was haben wir schon lange auf dieses Beautiful Swimmers Album gewartet! Diese Jungs muss man einfach gerne haben! Gerade deshalb, und ich verwette meinen Arsch darauf, das »Running Over« nichts weiter ist als eine nonchalante Kevin-Lyttle-Reminiszenz You got me going crazy, You turn me on, Turn me on. Richtig, Kevin Lyttle. Habe ich schon behauptet, dass man die Jungs gern haben muss?

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Bibio
Silver Wilkinson
Warp • 2013 • ab 17.99€
Ohne DJ Koze wäre die Welt ein schlechterer Ort und Bibios neustes Album bei mir endgültig auf dem Kompost gelandet, wo seine organischen Kräuter-Beats zurück zur Natur hätten finden können. Doch dann kam Kozes Fact-Mix. Da gefiel den Kollegen Okraj und Aigner ein Tracks ganz besonders dolle. Es war Bibios »You«, den wir dann sogleich in unserer Mitte aufgenommen haben. »You« ist das Highlight von »Silber Wilkinson«: Während viele der anderen Tracks substanzlos vor sich hin flattern, besinnt sich Bibio mit »You« auf den Sound von »Ambivalence Avenue«. Beat und Sample hat Bibio hier so zerhackt, das sie übereinander stolpern und dem Song trotzdem eine Grundharmonie geben. Dazu Streicher und Bläser und fertig ist der Sound, der uns an Bibio 2009 so begeisterte.

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Tuff Sherm
Burglar Loops EP
The Trilogy Tapes • 2013 • ab 13.99€
That old real shit. Tuff Sherm macht das schon äußerst geschickt. Greift mit einem mehr als bekannten Vocal-Sample jedermanns Hip Hop Sozialisation direkt zu Beginn ab und hat dann mit einem eigentlich recht zickig programmierten Techno/House-Hybriden leichtes Spiel. Trilogy Tapes halt. That Old Real Shit.

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Ich brauche zehn Dosen Red Bull, um meinen Energiehaushalt auf das Level zu bringen, nach dem Danny Brown und A$AP Rocky hier klingen. Nur sind die beiden nicht aufgeputscht, sondern im »Kush Coma«. Hier liegt ein brutales Missverhältnis vor. Aber genau deswegen ist das so toll. »My forehead‘s sweaty, my eyelid‘s heavy, I‘m feelin‘ like I ain‘t go make it«_ rappt Danny Brown und drückt damit genau aus, wie ich mich morgens fühle. Bei mir geht es in diesem Zustand mit 0,1 km/h in Richtung Espresso-Maschine, bei Danny und Rocky auf 130 bpm ins Weltall. Im Refrain treffen sie Daft Punk, die sich 20 Jahre lang die Birne in der Raumstadion weggekifft haben. Hymne!

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oOoOO
Without Your Love
Nihjgt Feelings • 2013 • ab 12.79€
Da will man gar nicht an einen Zufall glauben, dass beim Hören dieses mächtigen okkulten Werks des Witch-House-Spektakels oOoOO die polnischen Brüder und Schwestern in Warschau zeitgleich einem Exorzisten frönen. Witch-House, endlich ist der Name mal Programm, der Teufelsaustreiber im Osten hätte auch in »The South»« so seinen Spaß. Zwei bestialische übergelagerte Synths auf einem Trapgedonner von Beat, aus dem die Hi-Hats feuern und diverse Vocalschnipsel dem Echo entsteigen, dass sich die Nackenhaare sträuben. Amen.

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Tambien
Robusto / Sexalität EP
Public Possession • 2013 • ab 8.99€
Schon auf der wunderbaren 12inch im vergangenen Jahr längst vergriffen und dieser Tage wiederbelebt, deutete sich an, dass diese mysteriösen Münchener Tambien-Kerle aus dem Umfeld des Fashion/Vinyl-Konglomerats von Public Posession/A Kind Of Guise ganz den perkussiven Elementen der House Musik zugewandt sind. Auf Sexalität führen sie Ihre Leidenschaft munter fort, kreiseln einen 303-Groove so lange um sich selbst, stets mit der Kickdrum am Anschlag, feuern Toms aus allen Rohren und entladen diesen schließlich in einem euphorischen Aufruf à la »Let yout body Free«, da hätte Danny Tenaglia anno 1995 im Twilo so seinen Spaß daran gehabt. Apropos 1995: damals wäre so etwas natürlich auf TRIBAL America erschienen, aber times, they are bekanntlich a changin, so sitzt der Stamm mittlerweile in München.

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Warum Rapper diese infantile Freude über Sportzigaretten auch im vierten Genre-Jahrzehnt noch nicht abgelegt haben, ist mir zwar ein Rätsel, wenn man Half-Baked-Banalitäten aber innerhalb eines Verses mit durchaus interessanten Beobachtungen verknüpft wie die Flatbush Zombies, sind wir ganz Ohr. So ecchauffiert man sich hier korrekterweise über hellhäutige Botox-Trullas, die ungeniert das N-Wort benutzen und hach um Himmels Willen, dieser Beat. Mit viel Fantasie ist das 13 Till Infinity. Ja, im Ernst.

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Dürerstuben
Sheets Of Rane
Pampa • 2013 • ab 7.99€
Ach was hat der Cosy Cos wieder den Schalk im Nacken. Nachdem bei Pampa in letzter Zeit häufiger Matinee-House auf der Agenda stand, kuratiert Kotzalla nun also eine mit Nu-Beat und Italo-Käse kokettierende Cover-Version von – ja genau – Eye of the Tiger. Oh doch. Geil? Geil!

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