Zwölf Zehner – April 2013

03.05.2013
Willkommen im Mai. Doch vorher lassen unsere Kolumnisten vom Dienst den Monat April musikalisch Revue passieren und destillieren in ihrer Kolumne Zwölf Zehner die wichtigsten zehn Tracks des Monats.
Die Eins im April ist ganz klar, Hype hin oder her. Mag die Kritik an Daft Punks Comebacksingle »Get Lucky« bisweilen sogar berechtigt sein mit der Annahme, dass sie musikalisch nicht viel Neues liefert (das Marketing hingegen in unbekannte, interessante Dimensionen vorstößt), übersieht diese, dass die beiden Franzosen mit ihrer Kooperation mit Nile Rodgers und Pharrell Williams offensichtlich den Nerv der Zeit treffen, weil sie zeitgenössischer Dance Music eine Zutat hinzufügen, die ihr in den vergangenen Jahre abhanden gekommen ist. Um es mit Toni L’s Worten zu sagen: Dir fehlt der Funk! Den haben Daft Punk zu genüge und schließen sozusagen den Kreis, den sie mit ihrer ersten erfolgreichen Single anno 1995 selbst geöffnet haben. Und diejenigen, die das immer noch nicht verstehen wollen (was sie natürlich nicht müssen), die fordere ich hiermit auf, mir einen Funkloop der vergangenen dreißig Jahre zu nennen, der derart prägnant das Gefühl von »Le Freak« oder »Rapture« auf den Punkt bringt, ohne dass Nile Rodgers daran beteiligt wäre. Da bin ich mal gespannt.

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Pusha Ts Referenzrahmen ist weniger eklektisch als der des Herrn Dumile, auf »Numbers On The Boards« bleibt diesbezüglich noch am ehesten Pushas Behauptung im Gedächtnis, dass ihm der Givenchy-Zwirn so gut passt wie Turnbeutelinhalte, aber wie er wieder mit dem Messer zwischen den Zähnen Kanyes Neptunes-igsten Beat to date zerhackt, macht uns Gänsehaut. Überhaupt: dieser Beat. Hier sollten sich die ganzen Ba(a)uern mal ein Beispiel nehmen, was Timbo und Pharrell bezüglich gimmickverliebtem Minimalismus schon vor mehr als einer Dekade geleistet haben, sollte all die Game Cube / Nintendo – Schergen eigentlich by Default in die Schamecke drängen. Kanye hingegen weiß das und reagiert auf die Harlem Shakisierung von EDM mit einer der brillantesten Verneigungen vor Pushas ursprünglichen Haus- und Hofproduzenten, die man bisher gehört hat. Ach ja, Numbers On The Boards ist übrigens einer der drei besten Solo-Tracks, die Pusha T bisher veröffentlicht hat und davon gab es bekanntermaßen viele in den letzten drei Jahren.

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Man mag als House-Heiopei in fortgeschrittenem Dienstalter seine Seen-It-All-Allüren mit einem gewissen Stolz vor sich her tragen, wenn wir ehrlich sind, gab es aber schon lange nicht mehr so viele junge Produzenten, deren Definition of a Boombastic House Sound sich so sehr mit den unseren deckt wie momentan. Lumigraph ist eine weitere Offenbarung aus dem Nichts – äh – Netz. Über die momentan eh schon gut geölte Opal Tapes Maschinerie erscheint dieser Tage mit Nautically Inclined ein elf Tracks umfassendes Album des Briten (?), dessen Opener »Patty Hearst« in sieben Minuten direkt mal alles abbrennt. Vier Minuten die Hi-Hat-Peitsche, Theo-goes-Fukushima-Shit und gen Ende tatsächlich noch zwei Minuten Abriss. Hoffentlich spielt das aber auch wirklich jemand und missbraucht es nicht wieder als Resident Advisor DJ Chart Token des Besserwissertums.

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Ein am Sizzurp sippender Dumile über eines dieser typisch-zähen Zeitlupen-Enya-Instrumentals von Clamy Clans? Yes, please. DOOM, immer noch all capitals, no trick-spelling, klingt zwar als hätte ein Schlaganfall sein Sprachzentrum noch mehr in Mitleidenschaft gezogen als damals diese fiese Unfallgeschichte, aber mit dieser Zeitlupendelivery klingen all diese absurden Referenzen fast noch geiler. Wie immer auf Hooks den Darm entleerend, arbeitet sich DOOM an Amazon, Common, Ozzy Osbourne, Shades Of Grey, Octagon, dem Gott Israels (danke, Wikipedia!) und Netflix ab und benutzt direkt in den ersten beiden Zeilen Ebonics neben puritanischen Floskeln. Sorry, aber er ist und bleibt der Allergeilste. Basta.

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Dieser Actress wieder. Macht aus Legowelts verspielter Vorlage ein Technomantra, das trotz einer flurfreundlichen Bassline und relativ hohem Tempo eher wie eine sehr persönliche Reflektion der zweiten Detroiter Welle klingt, inklusive transzendenter Keys und Stimmen aus der Unterwelt. Actress war länger nicht mehr so nahe dran an der Peaktime und dennoch misstraut er dieser auch hier, wenn er jeden potenziellen Hands-In-The-Air-Moment bricht, indem er uns erneut nicht den einfachen Kick gönnt. Guuuude Laune auf Zwo und Vier kann jeder, im selben Moment Nietzsche und Derrick May zu assoziieren hingegen nicht unbedingt.

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Über das epische Ausmaß des neuen The Knife Albums ist viel geschrieben worden, die Wirkung, die das Duo mit seinen proggigen Allüren und Ambient-Geduldsproben erzielt, wird jedoch vielleicht am besten deutlich, wenn die Diskurs-Techno-Not-Techno-er im Albumkontext die trügerische Entschleunigung mit »Networking« konterkarieren. Rastlos ist das, in der Produktionsästhetik durchaus mit den Oni Ayhun Solos vergleichbar, wenngleich mit einem kristallinen Drexciya-Impetus. Karin-Dreijer-Andersen findet hier nicht statt, wenn dann als zigfach gefilterter Paranoia-Reminder. Seltsam, seltsam.

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»We wouldn’t be anywhere without krautrock.« “Kim Gordon’s”;http://en.wikipedia.org/wiki/Kim_Gordon Worte, vor wenigen Tagen auf der Red Bull Music Academy in New York wiedergegeben und dann via Twitter verbreitet, kommen mir hier bei 3 Chairs irgendwie in den Sinn. Jazz is the teacher, eh klar. Doch diese Virtuosität an den Instrumenten, alleine derer Auswahl und späterer Einsatz, das zeugt von Aufbruch jeglicher Denkverbote und Transformierung des gemeinsamen Nenners House Music in höhere Fusionsphären. Music for the head, son. (Um es mit den Worten eines weiteren äußerst geschätzten Kollegen zu sagen) Der gute alte Krautrockgedanke also. So etwas entsteht dann wohlmöglich aus Platzmangel. Schließlich stehen nur drei Stühle für Theo, Marcellus und Rick im Studio und der gute alte Pimp Kenny will samt gesamter weiblicher Entourage auch noch Platz nehmen. Da zahlt man doch gerne bis zu 20 Euro für die Maxi. Und hört zum Runterkommen etwas Azzlack Stereotyp.

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Auch post mortem bleibt Dilla noch der Allergrößte. »Trucks« bedient die andere Seite des 2006 verstorbenen Jamey Yancey, die Seite, die man bisweilen nur aus der Oral History gesprochener Anekdötchen Commons, Talibs oder Questloves kannte. Denn dieser Dilla war gar nicht nur dieser introvertierte, insichgekehrte Producer’s producer, den man gemeinhin aufgrund seiner Zugehörigkeit zu Ummah und Soulquarians bei den Rucksackträgern vermuten würde. Nein nein, Dilla ging auch mal gerne in den Strip Club und liebte vor allem diese big ass trucks with big ass rims, kids! Diesen würdigte er dann bereits zu Lebzeiten eine Hyne, die selbstredend auf keinem andren Fundament gebaut sein durfte als Gary Numan’s Uberklassiker »Cars”«. Diesen seziert Dilla filigran in seine Einzelteile, garniert hier und da einen monströsen Moog-Bass und kosmische Yamaha-Klänge. Unwiderstehlich auch die gesungenen (geschriene) Hook, bei der man die ganze Passion Dillas für die von ihm bevorzugte Karrosserieform nachfühlen kann. Auch wenn es weh tut.

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Mike Paradinas veröffentlicht seine eigenen Arbeiten höchst selektiv, der irrsinnig hohe Output seines Labels Planet Mu ist völlig losgelöst von persönlichen Eitelkeiten. So verwundert es beinahe, dass Paradinas nun als Heterotic gemeinsam mit seiner Frau ein neues, unerwartet leichtfüßiges Projekt gestartet hat, dessen Debütalbum nichts ist worauf man niesen sollte. Noch schöner ist allerdings das auf Soundcloud geteilte Cover des Aphex Twin Klassikers »Xtal»«, in der Paradinas Bewunderung für den großen Richard D. James aus jedem Takt dieser zart geloopten Vocalfragmenten und fast schon behutsamen Synthfiguren tritt. Braindance lautet der nerdige Genre-Tag, was irgendwie fast schon wieder charmant ist.

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Jetzt erbarme sich doch endlich mal eine Frau, das ist ja nicht mehr mit anzuhören. Kaum ein Song von Drake handelt von einem anderen Thema als dessen immer währender Suche nach einer geeigeneten Partnerin. Eine, mit der Drake vor die Tür treten kann und mit der er sich nicht mehr verstecken braucht. Unser Drizzy hat keine Lust mehr auf die ganzen Bullshit-Spielchen und noch weniger auf die klugen Ratschläge seiner Entourage, sein Superstarleben weiter auszukosten. Hat er alles schon erlebt unser Lieblingskanadier und das in diesen jungen Jahren. Zu viele hat er reingelassen in sein Seelenleben und wurde immer wieder enttäuscht. Jetzt will er eine wie Beyonce, eine selbstbewusste, und ich bin mir sicher, er würde es bei ihr probieren, wenn da nicht nur dieser Sean Carter wäre, der das dann schon zu verhindern wüsste. Also lässt er uns auf »Girls Love Beyonce« weiterhin, vor Destiny’s-Child-Referenzen nur so strotzend, auf einem nicht minder schmachtvollen Instrumental von Haus- und Hof-Produzent Noah “40” Shebib an seiner Seelenpein teilhaben. Wir fühlen mit.

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