Zwölf Zehner – April 2012

03.05.2012
Willkommen im Mai. Doch vorher lassen unsere Kolumnisten vom Dienst den Monat April musikalisch Revue passieren und destillieren in ihrer Kolumne Zwölf Zehner die wichtigsten zehn Tracks des Monats.
Mad Men
Zou Bisou, Bisou
Lionsgate/Cobra • 2012 • ab 11.99€
Un, deux, trois: Zou bisou, bisou, zou bisou, bisou. Es müssen nicht immer die Modellreihen 303, 707, 808 oder 909 sein. Manchmal bringt uns auch ein anmutig swingender Chanson zum Schmelzen, verführerisch vorgetragen von Jessica Paré in ihrer Serienrolle der Megan Draper in unser aller Lieblingsreihe für Schöngeister und andere Ästhetikverfechter: Mad Men. Da mag es beim arg unterkühlten Draper Don noch so sehr innerlich brodeln, das zart säuselnde Stimmchen seiner Seriengattin Megan, die hier im musikalischen Französisch Männer- wie Frauenherzen gleichzeitig zum Sieden bringt, zeugt von graziler Attitude, wärmt das Herz und öffnet die Poren. Nun bleibt natürlich weiter ausgeschlossen, dass wir uns – inspiriert von Zou bisou, bisou – mit dem Backkatolog von Nouvelle Vague beschäftigen (höchstens mit den viatnemisch angehauchten Coverversionen, die unser Kölner Lieblungsrestaurant Lu im Hintergrund beschallen), im April fühlte sich nichts besser, nichts wohler an als dieser charmante Chanson. Angeregt durch manch anderen Zuspruch, haben die Macher von Mad Men Zou Bisou, bisou gar einen Vinylrelease verpasst und auf herzliches, blutrotes Vinyl gepresst. Hier passt alles.

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Dass die erste Single aus dem kommenden G.O.O.D. Music Album auch ein Produkt der Watch The Throne Tour ist, könnte man als Spekulation abtun, wenn man sich aber vor Augen hält, wie sehr sich Niggas in Paris mittlerweile verselbstständigt hat, überrascht es gar nicht so sehr, dass Yeezy die dort zur Schau gestellte, auch 2012 von Lex Luger dominierte Trap-Ästhetik mit »Mercy« auf die Spitze treibt. 808s, Patois-Versatzstücke, Lamborghini-Lifestyle in der Chopped & Screwed Edition, eine für Kanyes Ansprüche höchst simple Melodie und darüber die gesamte G.O.O.D. Music-Posse inklusive dem aktuellen talk of the town 2 Chainz. Sollte Ron Artests kürzlicher Ellbogen-Cripwalk einen Tanz inspirieren, »Mercy« wäre der Soundtrack.

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Actress
R.I.P.
Honest Jon's • 2012 • ab 19.99€
Um Funktionalität ging es Actress noch nie. So überrascht es auch wenig, dass er auf »Serpent«, einem von zahllosen Geniestreichen auf seinem jüngsten Opus «R.I.P«, keine Anstalten macht uns das nach 3 Minuten unweigerlich einsetzende, vehemente Kopfnicken auf die 2 und 4 länger als 50 Sekunden zu gönnen. Nein, kaum bekennt sich dieses von düsteren Violinenstabs, seltsamen Tierlauten und einer einigermaßen steten Bassdrum durchzogene Autorentechnostück namens »Serpent« zu schwitzenden Leibern und Tanzflurkonventionen, macht Actress Schluss und geht direkt mit »Shadow From Tartarus« in eine dubbige Endzeitdystopie über. Und genau dafür lieben (Aigner) bzw. schätzen (Okraj) wir ihn so sehr.

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Es ist nicht mehr alles purpur in der Welt des Rakim Mayers, mittlerweile lebt er the good life durch die rosarote Brille. Nicht dass dafür ein weiterer Beweis vonnöten wäre, A$AP Rocky liefert ihn auf »Goldie« dennoch ganz freiwillig. Die Vorschuss-Millionen liegen schließlich auf der Bank, mit dieser Sicherheit lässt es sich genüsslich auf einen flötigen Gute-Laune-Beat ein paar Sechzehner zum Besten geben. Aber nicht falsch verstehen: Nur weil ihm die Frauen jetzt (amtlich schnürsenkellos verziert in Zehenbekleidung aus dem Hause Martin Margielas) zu Füßen liegen (zumindest so lange bis er sie wie ein Motorboot über ihre sekundären Geschlechtsmerkmale flutet), gibt er noch lange nicht seine Straßenattitüde auf und unterstreicht das – falls nötig – mit Nachdruck auch unter Einsatz seiner Glock. Ach A$AP, man muss dich einfach gern haben.

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King Britt Presents Fhloston Paradigm
King Britt Presents Fhloston Paradigm EP
Hyperdub • 2012 • ab 6.74€
King Britt muss die letzten zwei Jahre Grundsätzliches an seiner Work-Life-Balance verändert haben, ab ins Spa oder zum Joga, denn all jenes Material, das er seitdem unter dem Projektnamen Flohston Paradigm veröffentlicht, strotzt nur so von Energie, Dynamik und Ideenreichtum – so viel erfrischenden Output war man von umtriebigen Tausendsassa aus Philadelphia seit mindestens zehn Jahren nicht mehr gewohnt. Das scheint auch den immerhippen Jungs von Hyperdub aufgefallen zu sein, die Britts Adventures in analogfetishism gleich für mindestens eine EP weggesignt haben. Hier brilliert Britt gleich zu Beginn mit dem skizzenhaften »Chasing Rainbows«, das nach einem kurzen Vorlauf von zwei Takten verführerrischen Midtempo-Electro-Breaks den Hörer gleich in die Vorzüge seines Maschinenparks an Vintagesynthesizern unterweist. Den Verstärker auf Anschlag gedreht, verändert Britt die einfache Bassmelodie des Tracks nur marginal in der Tonfolge, unterlegt sie aber mit dermaßen viel Power in der Kompression, dass die Zimmerschränke bereits im niedrigen Dezibelbereich zu wackeln beginnen. Prädikat: Heavy nach Hafti.

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Boddika
Acid Jackson
Swamp 81 • 2012 • ab 8.99€
Bei aller Liebe für die gerade in aller Munde gefeierten Tracks, die Boddika justement mit Joy Orbison in der Pipeline hat – an die aberwitzige Intensität des unter selbstbetitelten Kategorie »Acid-Funk« laufenden 303-Smashers »Acid Jackson« kommen weder Dun Dun noch Prone ran. Verschwenderisch eingeläutet mit ravigen Stabs und wenigen Drumschlägen dreht das Pendel nach genau einer Minute gen Acid. Es folgen eine halbe Minute Offzeit und blanker Wahnsinn, den Pierre und Spanky damals anno 1986 auch nicht hätten besser machen können. Der plotzliche Kurswechsel zur Geradlinigkeit macht die Verwirrung perfekt, die fordernden Hi-Hats eskalieren ohne Umwege zielgerichtet in der gesteigerten Endorphinproduktion. Uff, anthem alert!

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Ka
Grief Pedigree
Iron Works • 2012 • ab 16.99€
»This gon‘ be the summer they come for (…) this gon‘ be the summer the cops get me«. – Wir können uns ad hoc an keine paranoidere Hymne an die entspannteste Jahreszeit erinnern als KA ’s reduziertes Piano-Lamento »Summer«. Im Signature Flow vorgetragen, der in seiner Zurückgenommenheit Roc Marciano wie Busta Rhymes klingen lässt, rappt die größte Post-Boom-Bap-Sensation des Jahres hier über leere Mägen, Feinde, Schüsse ins Gesicht, saure Äpfel, den Concrete Jungle und die School Of Hard Knicks. Klassische Sujets also, die man in dieser Eindringlichkeit, verbunden mit einer beeindruckenden visuellen Inszenierung seit „Hell On Earth“ selten gehört hat.

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Pepe Bradock
Imbroglios 1/4
Atavisme • 2012 • ab 8.99€
Auch nach knapp 15 Jahren sind Pépé Bradock Platten ein Großereignis. Das mag zum einen daran liegen, dass sich der verschrobene Franzose rar macht wie kaum ein anderer, zum anderen aber auch daran, dass er sich wirklich nur dann meldet, wenn er auch etwas zu sagen hat. Seine neue Maxi »Imbroglios Part I« mag kein Quantensprung sein, allein aber folgende Anekdote mag verdeutlichen, warum Bradock immer noch in der Königsklasse spielt: F. Aigner hat P. Okraj fürsorglich jene EP mitbestellt, kurz vor dem Anpfiff des Hinspiels des FC Bayern gegen Mourinhos Soon-To-Be-Opfer-Truppe (Königsklasse again), wird noch schnell »12turn13« angespielt. Kaum haben sich die verkopft arrangierten Chords in ein druckvolles Drumset gebettet, kommentiert P. Okraj: »alle reden immer von raw, das IST raw«. Anerkennendes Nicken dominiert die folgenden zwei Minuten bevor sich Resident Hater P. Okraj noch dazu hinreißen lässt zu attestieren, dass das genau das sei, was Danilo Plessow aka Motor City Drum Ensemble auf seinem Raw Cuts Frühwerk versucht, aber noch nicht zur Perfektion getrieben hätte. F. Aigner quittiert dies mit einem Raunzen und einem lakonischen »die Franzosen wieder.« Das komplett verquere „Attaque De“ vermischt sich anschließend mit der Champions League Hymne. Bezeichnend.

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100% Silk ist mittlerweile an einem Punkt angekommen, an dem man Gefahr läuft, das Erreichte leichtfertig zu verspielen. Zwar entdeckt Amanda Brown immer noch mit großartigem A&R-ing pro Monat mehr House-Talente als andere in einer Dekade, aber allein schon aufgrund der immens hohen Veröffentlichungsdichte sind 100% Silk Platten heute nicht mehr Blindkäufe wie noch vor 10 Monaten. Mit Body Double jedoch hat Frau Brown, nach einigen durchschnittlichen EPs, wieder voll ins Schwarze getroffen. Besonders »What You Need«, das gerade durch sein prominent platziertes Vocal-Sample, die enorm druckvollen Drums und streberhaft-ausproduzierten Synth- und Basslines ein bißchen so klingt als hätten sich Jacques Greene und Greymatter zum Musizieren getroffen, ist ein Schieber vor dem Herrn, der sich immer weiter nach oben schraubt, bis Body Double auf die absurde Idee kommt, die Vocals gnadenlos zu schreddern und in einer wahnwitzigen Masters-At-Work-meets-Safri-Duo-Tribal-Bridge komplett durchzudrehen. Man sollte dieses Bezeichnung vermeiden, aber hier muss sie sein: Gute-Laune-Tune!

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Hype Williams
Black Is Beautiful
Hyperdub • 2012 • ab 19.99€
Zur Review
Der Versuch »Black Is Beautiful« zu kategorisieren, ging bereits an anderer Stelle einigermaßen schief. Auch das Herz des Albums, die neuneinhalb-minütige Irrfahrt Track 10 , ist schwer greifbar und noch schwerer in Worte zu fassen, Inga Copeland stammelt, haucht und nölt in bester E.S.G.-Manier über einen torkelnden Retro-Beat, der sowohl wie eine verlorene Codek-B-Seite, als auch wie Marshall Jefferson in der Reggae-Hölle klingt, immer wieder unterbrochen von fiesesten Störgeräuschen. Die bedrohliche Acid-Bassline ist stets im Begriff ihre Fesseln abzustreifen, kann sich aber nie ganz der Pierre’schen Manie hingeben. Der gesamte Track bleibt in einem seltsamen Zwischenraum, frustriert und kitzelt zugleich und am Ende wird man das Gefühl nicht los, mutwillig getäuscht worden zu sein. Sie bleiben halt Trickster, auch unter neuem Namen.

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