Auch wenn man ihn in der Vergangenheit öfter durch Europa marodieren sah, hatte der Schwarm zuletzt vor zwei Jahren den deutschen Raum überflogen. Und nun war er plötzlich wieder da: der Wu-Tang Clan – das moderne Kulturgut des Rap, das sich einst so rar machte, heute jedoch regelmäßig als namhafte Attraktion die Nachfrage auf genreunspezifischen Festivals zwischen Rockbands und Technoacts befriedigt. Zum 20-jährigen Jubiläum des Debüts »Enter The Wu-Tang« hatte sich nun der komplette Clan in voller Mannsstärke und ohne Ausfälle bedingt durch Film- oder Albumaufnahmen, Golfturniere oder Bewährungsauflagen präsentieren können – und zwar in der beschaulichen Mark Brandenburg auf dem Greenville Festival. Zu ihrem Auftritt kamen die glitzerbemalten Bändchenträger gerade vom Auftritt der Japandroids angerannt und machten sich zeitig wieder auf den Weg, um ja nicht Icona Pop zu verpassen oder um sich für den tausendsten Auftritt von Bonaparte einen Platz in der ersten Reihe zu sichern. Da fragt man sich berechtigterweise, warum sich der Wu-Tang Clan so etwas überhaupt noch antut. Was ist aus der düsteren Vision vom Beginn der 1990er Jahre geworden? Was ist der Clan heute überhaupt noch wert? Seinen Fans scheinbar sehr viel, waren sie durch den Erwerb von Tageskarten deutlich in der Mehrheit und machten den Raum vor der Hauptbühne weitaus enger als es tags zuvor bei der Bloodhound Gang der Fall war. Dementsprechend ist die Frage danach, welche Daseinsberechtigung der Clan im Jahr 2013 hat, schnell beantwortet: einerseits lieben und brauchen die Fans sie und wollen sie unbedingt sehen. Und andererseits agieren die acht übrigen Mitglieder sowohl im Studio (schließlich war ja keines der fünf Studioalben wirklich schlecht) als auch auf der Bühne noch immer sehr souverän und frisch – auch vor tausenden Landeiern und –pomeranzen. Von den oft heraufbeschworenen Auflösungserscheinungen war indes gar nichts zu spüren. Stattdessen bewiesen die Jungs auf dem Greenville Humor, indem sie mit einer einstudierten Choreographie mit Method Man als Vortänzer jeder 90s-Boyband mit einem Augenzwinkern ernsthafte Konkurrenz gemacht hätten. Vergleichsweise junge Hüpfer im Game wie Odd Future machen zwar mindestens genauso viel Alarm auf der Bühne, nichtsdestotrotz ist es gut und wichtig, dass der Wu-Tang Clan auch noch im Jahr 2013 auf der Bühne stattfindet. Schließlich sind ihnen aufgrund von Altersschwäche weder die Skills abhanden gekommen, noch sind sie durch das konsequente Fortsetzen ihrer Vision zu Karikaturen ihrer selbst geworden, wie andere gealterte Crews (z.B. Public Enemy), die heutzutage noch immer unterwegs sind – da liegt der Unterschied: Wu-Tang sind nicht »noch immer unterwegs«. Stattdessen profitierte das Publikum am Samstag von ihren Erfahrungen, die eben nicht in Sätzen wie »Hiphop’s not dead!« münden, sondern die dafür sorgen, dass die Zuschauer von heute tatsächlich zu sehen bekommen, wie dynamisch, abwechslungsreich und unterhaltend ein einst neuer, düsterer Rap-Entwurf von der Ostküste aus dem Jahre ’93 immer noch klingen kann.
Records Revisited: GZA – Liquid Swords (1995)
Kolumne