Piero Umiliani war einer der größten italienischen Komponisten, den fast niemand kennt und doch alle gehört haben. »Mah Nà Mah Nà« kombiniert drei Noten und ein Kindheitserfahrung. Der »Maestro«, wie sich Umiliani später gerne nennen ließ, hatte das Lied Ende der 1960er Jahre für einen italienischen Film über Nackedeis in Schweden komponiert. Dass das Stück in der Sesamstraße und von dort aus in Millionen amerikanischer Kindsköpfe landete, war Zufall. Und trotz allem nur eine Frage der Zeit. Schließlich schrieb der Italiener seit Ende des Zweiten Weltkriegs für Film und Fernsehen, vertone Dokumentation und entwickelte Theatermusik. Allein zwischen den 1960er und 1980er Jahren veröffentlichte er mehr Platten, als man heute in ein Kallax-Regal quetschen könnte. Ausgerechnet dort findet man, 20 Jahre nach seinem Tod, den Namen Piero Umiliani wieder öfter. Reissues spülen den Soundtrack der »Cocktail Generation« in YouTube-Timelines und Spotify-Playlists. Happy Music ist wieder geil. Und »Exotica« zwar kulturelle Aneignung. Praktisch aber einfach geiler Vibe.
Die Ganoven verlangen nach Jazz
»In Italien war diese Musik illegal. Ließ man sich beim Hören erwischen, landete man im Knast«, sagte Piero Umiliani über Jazz während des Faschismus. Es war jene Musik, der er als Jugendlicher heimlich im Radio gelauscht hatte, während die Alliierten bereits die Stiefelspitze bombardierten. Umiliani wächst mit seiner Familie in Florenz auf und liebt den Sound von Duke Ellington. Als die US-Armee die Stadt einnimmt, ist er 17 und klimpert nächtelang in Bars – für Soldaten, die ihm neben Trinkgeld auch neue Platten aus Amerika dalassen. Umiliani begreift, dass sich mit Musik Geld verdienen lässt. In sein Tagebuch schreibt er: »Ich würde gerne Musik komponieren, weil ich das Gefühl habe, dass es mir in Zukunft Vergnügen bereiten könnte.«
Trotzdem studiert er nach Kriegsende Jura. Nicht, um später Anwalt zu werden, sondern seiner Eltern zuliebe. Die Nächte treibt sich Piero Umiliani weiter in den Clubs und Bars von Florenz herum und beginnt, neapolitanische Lieder mit amerikanischem Bebop zu vermischen. Das gefällt den GIs der Besatzung genauso wie der Bevölkerung vor Ort. Und spricht sich herum. RAI, der staatliche Radiosender Italiens, spielt erste Aufnahmen von Umilianis Stücken. RCA Records wird auf den Twentysomething aufmerksam. Als sein Debüt »Dixieland in Naples« 1955 erscheint, schippert italienische Grandezza über den Atlantik, um am Mississippi haltzumachen. Das erste US-italienische Crossover wirkt zwar alles andere als »italienisch«, aber nur, weil es nicht so klingt, als hätte sich der Koch nach drei Flaschen Chianti an Spaghetti Bolognese verbrannt.
Piero Umiliani merkt: Er trifft den Zeitgeist. Und will damit ins Showgeschäft. 1958 meldet sich Mario Monicelli, ein Regisseur, der zu diesem Zeitpunkt schon einige Filme gedreht hatte und als neuer Star im italienischen Kino gehandelt wird. Für seinen Streifen »I soliti ignoti« (»Diebe haben’s schwer«) soll Piero Umiliani die Musik schreiben. Er fährt nach Rom, sieht den Film und weiß: Die Ganoven verlangen nach Jazz! Der Komponist beginnt, mit dem Trompeter Chet Baker zusammenzuarbeiten. Ein Genie, das pro Tag mehrere Gramm Heroin in seinen Körper spritzt, aber der Gangster-Komödie mit seiner Lippenspannung genau zu jener Dramatik verhilft, die ihn zu einem Oscar-Anwärter macht – und amerikanischen Jazz zum ersten Mal auf eine italienische Leinwand bringt.
Ständige Neuerfindung
Der Film gilt heute als Abkehr von den Ängsten des Neorealismus der Nachkriegszeit hin zu den Krawall-Komödien, die in den 1960er Jahren an Popularität gewannen. Umilianis Upbeat-Gezischel mit dem Bebop-Einschlag aus Übersee passt dazu wie der Maestro in einen Anzug von Versace. Den muss der Italiener während der Sixties fast permanent tragen. Er komponiert für Agenten-Filme und Softpornos, klimpert zu Horrorfilmen und verwurstet Jazz in immer neuen Abwandlungen. Leute, die Filme oder Fernsehen produzieren, suchen seine Musik, die sie über ihre Bilder legen, um unter ihnen zu wirken können. Umiliani weiß das. Er produziert Gebrauchsmusik. Aber solche, die mehr ist als bloßer Lückenfüller.
Wie »Library Music« funktioniert, beschreibt Autor und Archivar David Hollander im Bildband »Unusual Sounds«: »Die Musik war gar nicht für den normalen Hörer gedacht und auch nicht zugänglich gemacht. Sie war nur auf LPs zu hören, die ausschließlich an Film-, Fernseh- und Radioproduzenten verkauft wurden. Schließlich hätten sich Firmen, die solche Musik produzieren ließen, nie erträumen lassen, dass sich jemand anderes für diese Klänge interessieren würde.« Weil Piero Umiliani nicht auf die Bühne drängt, bringt ihm das Schattendasein als Komponist fürs Lichtspiel durchaus Vorteile. Er ist zwar oft auf sich allein gestellt, soll auf Abruf komponieren und sich Musik für Filme ausdenken, die noch gar nicht abgedreht sind. Genau das führt aber dazu, dass er sich andauernd neu erfinden muss.
In sein Tagebuch schreibt er: »Ich würde gerne Musik komponieren, weil ich das Gefühl habe, dass es mir in Zukunft Vergnügen bereiten könnte.«
Der Drang zum Experiment ist Umilianis Kompositionen also eingeschrieben. Außerdem veröffentlicht er viele seiner Stücke auf seinem eigenen Label Omicron, dessen Ursprünge bis in seine Jugendzeit zurückreichen. Seine Mutter, sie erkannte das Talent ihres »Pierinos« trotz ihrer vorgeschobenen Anwalts-Hoffnungen, gründete mit Omega früh ein Label zum Schutz seiner Urheberrechte. Als Umilianis Erfolg in der Filmmusik zunimmt, nennt er es 1964 um und baut Omicron als Bibliothek auf, die er an die wachsenden Produktionsanforderungen der italienischen Medienlandschaft anpasst und mit neuen Sublabels ausgliedert.
Tropische Paradiese und Cha-Cha-Cha
Immer mehr Dokumentationen und Filme entstehen, die in ferne Länder reisen und nach einem Soundtrack verlangen, der die Stereotype über diese Länder nicht nur bestätigt, sondern fortführt. Soundtracks zu Streifen wie »Il Ponte Dell’Asia«, »Preistoria« oder »Svezia, Inferno E Paradiso« könnten heute – genauso wie die dazugehörigen Filme – ein Dutzend Studierende der Post Colonial Studies über Semester beschäftigen. Während der 1960er Jahre verschwendete niemand einen Gedanken daran, ob es angebracht ist, als Gringo eine Platte über »Afrika« oder »Mädchen mit Mondscheinhaut« zu produzieren. Film wie Musik sollten einfach dazu beitragen, die trostlosen Jahre des italienischen Wiederaufbaus nach dem Krieg zu exotisieren und den wirtschaftlichen Aufschwung vorwegzunehmen.
Umiliani verwendet, ähnlich seiner Zeitgenossen Piero Piccioni, Ennio Morricone und Nino Rota, Klänge, die ihre Inspiration aus der Erzählung über ferne, orientalische Welten ziehen und gleichzeitig auf Amerika als die letzte Grenze der Exotik blicken. Er lässt die Jazz-Strukturen hinter sich und experimentiert mit Moog-Synthesizern, die piepsen und brummen, als hätte der Maestro an LSD geleckt. Seine Musik wendet sich den Träumen und der Euphorie einer Generation zu, die den Krieg erlebt und überlebt hat. Während der Siebziger explodieren die Plattencovers im Farbenrausch und zeigen Bilder, die an tropische Paradiese, sinnliche Frauen und Cha-Cha-Cha unterm Palmenbaum erinnern. Etwas, das auf die Lust des weißen Playboy-Lesers zugeschnitten ist und seinen Blick widerspiegelt. Dolce Vita. Geschüttelt, nicht gerührt.
»Die Ankunft der Cocktail-Generation war vorhersehbar«, schreibt der Journalist Francesco Adinolfi im Buch »Mondo Exotica«. In den 1990er Jahren sei das »kulturelle Recycling« global geworden. Es zog mit Kabelfernsehen und Internet in die Haushalte der westlichen Welt – und damit in unser Unterbewusstsein ein. Immer mehr Bilder verschiedener Vergangenheiten haben in der Gegenwart zu existieren begonnen, immer mehr habe die Kultur das Gefühl für ihre eigene Geschichtlichkeit verloren, schreibt Adinolfi – und klingt wie ein Apologet der Retromania am Hauntologenkongress.
Hintergrundmusik, aber seltsam anders
Dass heute die Musik von Piero Umiliani, der 2001 in Rom stirbt, neue Auflagenrekorde schreiben kann, hat andere Gründe. In einer Zeit, in der die Stimmung, der Vibe, das Mood-Management den wichtigsten Bezug im Hören von Musik darstellt, bildet »Library Music« eine Situation ab, die niemand erlebt hat. Aber gerade wegen der Verbindung mit Cover und Titeln wie »Atmospheres« eine Vergangenheit exotisieren, die Genregrenzen auflöst und daraus neue Angebote zur Identifikation aufmacht. Piero Umilianis Musik wiederzuentdecken ist so, als wühlte man im Kleiderschrank der eigenen Eltern. Man fühlt sich geborgen, hat einen bestimmten Geruch im Kopf und ein Bild vor den Augen. Das ist nicht unbedingt neu. Aber seltsam anders.
Wir danken herzlich Alessandra und Elisabetta Umiliani, den Töchtern von Piero Umiliani, die extra für diesen Beitrag ihr Familienarchiv nach Fotos ihres Vaters durchsuchten und uns zur Verfügung stellten.