Als das Zoom-Fenster aufpoppt, blicke ich in die Zukunft. Lachlan Stuckey sitzt am anderen Ende der Welt in einem Melbourner Radiostudio. Während der Gitarrist der australischen Band Surprise Chef gerade ein Nachmittags-Interview für einen lokalen Sender gegeben hat, schütte ich mir Wiener Kaffee ins Gesicht. Schließlich muss die Leitung neun Stunden Zeitverschiebung überbrücken. »Hey, ich weiß, wie sich das anfühlt«, sagt Stuckey. »Wir kommen gerade von einer Tour aus Europa und Großbritannien, in ein paar Tagen geht’s weiter in die USA. Momentan leben wir wirklich von einem Jetlag in den nächsten.«
Lachlan Stuckey grinst unter seinem Basecap – und er hat allen Grund dazu. Surprise Chef haben sich mit zwei Alben einen Namen als »Neo-Soul«-Band gemacht. Von Guardian bis Pitchfork kramen Musikjournalisten in den Plattensammlungen ihrer Eltern, um Vergleiche mit David Axelrod, Curtis Mayfield und Isaac Hayes aufzustellen. Manch einer will darin sogar den Groove von Fela Kuti oder Khruangbin erkannt wissen. Deshalb habe Leon Michels von Big Crown Records irgendwann »cinematic soul« auf die Covers ihre Platten geschrieben, sagt Stuckey. »Das soll unseren Sound beschreiben, der sich anfühlt, als hätte man ihn für einen Film gemacht, den es gar nicht gibt.«
Leon Michel nennt’s »Cinematic Soul«
Demnächst erscheint mit »Education & Recreation« das dritte Album von Surprise Chef. Zum Mikro greift noch immer niemand. Dafür ist die Band ist von einer Viergruppe zur Fünfercombo gewachsen. Neben Jethro Curtis, Andrew Congues, Carl Lindenberg und Stuckey vibed nun Hudson Whitlock am Vibraphon. »Er hat im Laufe der Jahre in vielen großartigen Instrumental-Soul-Bands wie Karate Boogaloo oder The Cactus Channel gespielt«, so Stuckey. »Außerdem hat er auf unseren ersten beiden Alben die Percussion beigesteuert, war in den letzten zwei Jahren bei allen Shows dabei. Es hat nur Sinn gemacht, ihn zu einem offiziellen Mitglied dieser Band zu machen.«
»We could never sound like Mayfield or Hayes anyway. After all, we neither grew up in their culture nor in that era. So our stuff will always sound a bit bastardised because it’s from 2020s Australia.«
Lachlan Stuckey (Surprise Chef)
Dass dadurch fünf weiße Dudes auf der Bühne stehen, reflektiere die Gruppe permanent. Nicht nur bei Gigs in Melbourne – dort sei es inzwischen ohnehin Selbstverständlichkeit – bestehe man deshalb auf ein diverses Line-up. Ein Gedanke, der noch auf die Zeit vor der Gründung 2017 zurückgehe. »Damals haben wir uns zwar als vier Typen zusammengetan. Wir kannten uns aber schon von unserer Zeit auf der Musikschule«, so Stuckey. Während der Schule habe man in verschiedenen Gruppen gespielt – nie unmittelbar zusammen, selbst wenn man an manchen Abenden die Bühne geteilt habe. »Als wir 18 waren, haben Jethro und ich dann unser erstes richtiges Projekt gegründet: eine Neo-Soul-Band, weil das zu der Zeit der Sound in Melbourne war.«
Keine nostalgische Retro-Band
Die Musik ist geblieben, der Anspruch hat sich vertieft. »Als wir die Band gründeten, hatte ich das Gefühl, dass es viele Funk- und Soul-Bands gibt, die sich selbst sehr ernst nehmen«, so Stuckey. »Sie taten so, als kämen sie aus den Sechzigern, obwohl sie weiße Australier aus Melbourne sind. Das wollten wir nicht. Deshalb schlüpfen wir in keine Retro-Anzüge und stehen nicht mit Sonnenbrillen auf der Bühne.« Stuckey lacht, weil er weiß, dass er die Frage nach kultureller Aneignung damit beantwortet hat. »Wir könnten ohnehin nie wie Mayfield oder Hayes klingen. Schließlich sind wir weder in ihrer Kultur noch in der Zeit aufgewachsen. Unser Zeug wird also immer ein bisschen verfälscht klingen, weil es aus Australien der 2020er kommt.«
Dass Surprise Chef mit ihrem Sound auf Retro-Playlists landen und häufig im Kontext von Soul-Nostalgie besprochen werden, nimmt Lachlan Stuckey schulterzuckend hin. Natürlich sei man von Musik inspiriert, die vor 50 Jahren entstand. Man versuche sie aber nicht zu kopieren. »Manche sagen, unser Sound höre sich alt an. Mein Vater findet zum Beispiel, dass wir wie Fahrstuhlmusik klingen«, so Stuckey. Man lasse sich aber ohnehin nicht von dem beeinflussen, wie die Leute die Musik interpretieren. »Viele denken, dass Funk oder Soul in den 1970er zu Ende ging. Nur weil wir die Musik noch immer gut finden, sind aber weder wir noch die Musik von Surprise Chef nostalgisch.«