Kunze: Mich würde deine Meinung hierzu interessieren
Cornils: Moralporn, der schon bei der Antilopen Gang gut funktioniert hat und genau über die Menschen abwichst, die gleichzeitig auch Zielgruppe sind.
Kunze: Okay, und was ist die Alternative?
Cornils: OK Kid zumindest formulieren keine. Ich würde mich freuen, wenn jemand drüber rappt, jeden Tag selbst rassistische, sexistische, homophobe etc. Gedanken zu haben – anstatt nur eine amorphe Masse anzupöbeln, die sich dafür entweder nicht interessiert während andere sich in ihrem pseudo-linkskritischen Weltbild bestätigt fühlt.
Kunze: Das ist ein Punkt. Ich fand das erst mal »gut«. Lieber so, als gar nicht. Der selbstgerechte Fingerzeig ist mir zwar auch aufgestoßen, aber hey: Die Kids! Wenn das ein Weg ist, ein paar desinteressierte 16jährige auf die an sich richtige Sache hinzuweisen, ist das doch gut. Dass ein Deutschrapsong das tut, finde ich erst mal nicht schlecht.
Cornils: Ja. Jein. Das ist das Til Schweiger-Paradox An sich verdient das alles Schulterklopfen, klar. Aber die Art der Präsentation ist wiederum so selbstgerecht, dass es dadurch eindimensional wird. Damit lassen sich meiner Meinung nach keine komplexen Probleme darstellen. Ich sehe durchaus ein, dass es gerade genrespezifisch ein guter Schritt ist. War Macklemore auch. Aber es wirklich unumwunden geil finden, wenn der in »Same Love« eigentlich auch nur eine »no homo«-Rhetorik fährt? Hm. Das ist eben schwierig.
Kunze: Aber immerhin sprechen sie an, dass das Problem existiert. Dass etwas Widerwärtiges existiert. Wenn es jetzt noch nicht aus einem moralischen Elfenbeinturm geschehen würde, wäre es halt richtig wertvoll.
Cornils: Ich find’s in der Theorie gut, was Til Schweiger oder Macklemore oder meinetwegen die Antilopen Gang und auch OK Kid machen. Alles hilft. Im zweiten Schritt aber, am besten eigentlich im ersten, muss nur eben schon komplexe Scheiße richtig angegangen werden. Hier aber wird impliziert, dass die »Guten Menschen« ziemlich schlecht seien. Nicht aber wird gesagt: Hey, wir sind nicht unbedingt anders. Da wird schon ein Us-vs.-Them-Weltbild kolportiert.
Kunze: Ich wäre auch dafür, dass niemand mehr in Ich und der Andere denken würde. Trotzdem finde ich es gut, dass sowas bei den Jüngeren ankommt – neben Stammtischparolen und Bild-Schlagzeilen, die sie in ihrem Alltag so aufschnappen. Für uns scheint das in »Gute Menschen« Gezeigte offensichtlich, vielleicht ist es für jemanden aber auch: Hey, das kenne ich, sowas sehe ich auch oft, wusste aber nicht, wie ich’s einordnen soll. Und das Video hilft dabei?
Cornils: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob damit wirklich Neues gesagt wird, für irgendwen. Schön (und gleichzeitig: schlimm) wäre es. Aber ich zumindest frage mich, ob Parolen noch funktionieren. Das ist mittlerweile eine ellenlange Diskussion: Ob es den Protestsong noch gibt und wenn ja, was er bewirken kann. Wie gesagt: toll, dass das adressiert wird und vielleicht irgendjemandem in Dunkeldeutschland den Rücken stärkt darin, gegen strukturellen Rassismus zu sein. Aber wie geht es danach weiter?»Das ist das Til Schweiger-Paradox
An sich verdient das alles Schulterklopfen, klar. Aber die Art der Präsentation ist wiederum so selbstgerecht, dass es dadurch eindimensional wird.«:
Kunze: Ich glaube, dass Protestsongs bei denjenigen nicht mehr ziehen, die eine ellenlange Diskussion über Protestsongs führen. Diese Abgestumpftheit der Intellektuellen. Natürlich: Weil man, umso mehr man selbst denkt, erkennt, dass es keine einfachen Antworten gibt. Für manche gibt es die noch. Der nächste Schritt ist dann der, der er immer und überall sein sollte: Das Selberweiterdenken. Ich hoffe halt, dass so ein Song für manch einen noch ein positiver Anstoß sein kann. Weil gerade jüngere Menschen die wenigstens positiven Anstöße aus bekackten Schlaumeier-Diskussionen beziehen. Wenn komplexe Scheiße komplex angegangen wird, erreicht es wieder diejenigen nicht, die kein Bock auf noch mehr komplexe Scheiße haben. Und da muss dann Unterhaltung einen schwierigen Spagat hinlegen.
Cornils: Touché. Die Antilopen Gang hat Erfolg damit, Audiolith hat ein ganzes Imperium drauf aufgebaut. Ich frage mich nur: Hören die Leute diese Musik zum Erkenntnisgewinn über gesamtdeutsche Scheiße – oder eben, weil diese Musik ausspricht, was sie sowieso schon denken?
Kunze: Hrmpf, gute Frage. Ich fürchte eher Letzteres. Aber ich möchte halt so sehr daran glauben, dass es beim Erkenntnisgewinn hilft.
Cornils: Meine Befürchtung ist: Dass sich die Hörerschaft in ihrem vermeintlichen Widerwillen gegenüber Rassimen suhlt und damit letztlich auch nicht anders ist als die, die da vorgeführt werden. Gute Menschen hören »Gute Menschen« und kommen sich dabei wie gute Menschen vor.
Kunze: Klar, das schließe ich gar nicht aus und finde das genauso zum Kotzen wie du, wenn sich da jemand in seiner halbgaren Moral gestreichelt fühlt und es sich dann gemütlich macht. Aber, wenn da nur ein paar Wenige erreicht werden, die danach denken: Hm, interessantes Thema, wie stehe ich eigentlich dazu, was genau passiert da…
Cornils: Klar, im Grunde ist dieses Video eine Stimme und vielen, alle sollten sich ihre eigene Meinung bilden können. Was wir aber in Deutschland sehen müssen ist eine Lagerbildung: Links hier, rechts dort. Dazwischen: ein Graben. Meine Befürchtung ist, dass ein Rapsong diesen Graben nicht wird schließen können, solange keine Brücke geschlagen wird.
Kunze: Alles wahr. Also im Rap die Finger von der Politik lassen und hoffen, dass diejenigen, die noch orientierungslos sind, komplexe Bücher lesen?
Cornils: Nein, ich möchte es nicht klein- oder zerreden. Jede Stimme, jeder Halbsatz gegen Rassismus bringt sich ein, und das ist völlig richtig und wichtig.
Kunze: Aber du hast schon Recht: Der Graben ist Besorgnis erregend. Und da hilft es dann eigentlich nicht, ihn noch auszubaggern, in dem man das Ganze Wir=Gut-, Die=Schlecht-Ding so durchzieht. Mit Empathie ist da halt nix.
Cornils: Eben, und die braucht es ebenso wie Selbstreflexion. Empathie ist radikaler als jeder geschmissene Pflasterstein.
Kunze: Hach, ich werde gerade ganz naiv und kopflos, weil überfordert, und würde gerne mit allen Menschen einen Reigen tanzen.
Cornils: Ich würde mich so gerne utopischen Ideen anschließen. Aber das ist nicht so leicht. Ich bin doch selbst Teil des Problems. Das muss ich reflektieren und zuhören, wenn Opfer, in dem Falle die von Rassismus, sprechen. Denn ich bin keins. Solange ist unsere Diskussion auch nicht mehr als graue Theorie.
Kunze: Man darf sich auch als Teil des Problems einer utopischen Idee anschließen, finde ich.
Darum ging es doch auch so schön in der Rede von dem Dude mit dem Buch und dem Preis [Navid Kermanis Rede zum Friedenspreis Anm. d. Red.]: Dass man noch wünschen sollte. Und nicht in Nihilismus verfallen.
Cornils: Ich bin pro Hoffnung. Hass zersetzt. Aber Hoffnung mit Hass zu kombinieren, wie das hier meiner Meinung nach passiert, das ist schädlich…
Kunze: …weil es nichts anderes als das ist, was auch Pegida macht.
Cornils: Das Problem ist aber auch, dass nicht die zu Wort kommen, um die es geht. Die people of colour werden im Video in Statistenrollen verbannt. Die sprechen nicht, dafür aber die Kartoffeln. Stattdessen darf eine mit dem Arsch wackeln.
Kunze: Ne ne, warte, da wird ja nur der Blick gezeigt, den die im Video kritisierten Menschen auf sie haben. ###CITI:»Wenn komplexe Scheiße komplex angegangen wird, erreicht es wieder diejenigen nicht, die kein Bock auf noch mehr komplexe Scheiße haben.«:###
Cornils: Ja, aber genau diesen Blick haben wir dadurch auch. Nicht ideologisch, aber zumindest in der Betrachtersituation, in der wir uns befinden.
Kunze: Naja, wir müssen uns halt bewusst werden, durch wessen Augen wir da gucken.
Cornils: Aber kannst du ganz ehrlich sagen, dass du nicht für einen Moment völlig unreflektiert draufgestarrt hast? Mir zumindest ging das so. Das meine ich: Teil des Problems.
Kunze: Einen Moment: Klar.
Cornils: Und dieser Moment ist noch ein Moment zu viel, finde ich. Das ist meine Hoffnung: Dass wir uns selbst von unseren eigenen Verwicklungen lösen können. Denn dann, und vielleicht ist das so etwas wie ein Fazit, können wir die Opfer sprechen lassen und es müssen sich weder OK Kid noch wir davorschieben.
Kunze: Ich finde das ja schön, was du da sagst. Wäre mir auch am liebsten. Aber: Sollen alle schweigen, bis sich alle von ihren eigenen Verwicklungen gelöst haben? Oder bis sie in der Lage zu einem Gesamtwerk sind, das diese Verwicklungen thematisiert?
Cornils: Es geht nicht ums Schweigen, sondern um Selbstreflexion und Empathie. An OK Kids Stelle würde ich mich zuerst fragen: Wie frei bin ich von dem, was ich kritisiere? Wie kann ich die Möglichkeiten eines Rapsongs dafür nutzen, um anderen eine Stimme zu geben? Zum Beispiel: Warum ist da kein Feature-Gast drauf, der 16 darüber gibt, wie die Flüchtlingserfahrung oder deutscher Alltagsrassismus aussehen? Wieso kommen die weißen Brudis und erklären das?
Kunze: Ey, das wäre auch keine Hilfe. Da holt man sich dann ein »Opfer« in Team Gut, das Team Schlecht noch wirkungsvoller in den Arsch treten kann. Genau das wollten wir nicht.
Cornils: Wäre auch nah am Tokenism, klar. Trotzdem eine konkretere Hilfe in Sachen Sichtbarkeit und Lebensnähe – Grundlage für Empathie.
Kunze: Ja. Sollen sich Rapsongs also lieber raushalten, weil sie in einem Track eh nur einen lachhaften kleinen Teil des komplexen großen Ganzen zeigen können?
Cornils: Was »Gute Menschen« zeigen will, ist das große Ganze! Das wird leider durchs Nadelöhr gejagt. Das ist das Problem. Um das alte Public Enemy-Ideal umzuformulieren: CNN nicht (allein) for Black people – sondern vor allem by Black people. Die Kids, die Masse mit den Erfahrungen der Unterdrückten konfrontieren. Das wäre meiner Ansicht nach Optimum, zumindest in diesem Fall. Ein Kompromiss wäre da ein Anfang, finde ich. Das ist wohl meine Alternative, nach der du anfangs gefragt hast.
Kunze: Okay, danke für deine Antwort.