Aufgewachsen im segregierten Süden der USA, träumte Eunice Kathleen Waymon davon, klassische Pianistin zu werden. Mit zwölf Jahren machte sie ihre erste Erfahrung mit Rassismus. Während ihres ersten Recitals wurde ihren Eltern befohlen, sich in der letzen Reihe zu setzen. Mutig stoppte Eunice ihr Spiel, stand auf und weigerte sich, weiterzumachen, bis ihre Eltern in der ersten Reihe saßen.
Sie nahm sich zu Herzen, was ihr Klavierlehrer sie gelehrt hatte: Berühre das Klavier nicht, bis sie bereit sind, dir zuzuhören. Dieser Moment war ein erstes Aufblühen der Furchtlosigkeit und der Unangepasstheit, mit die später ihre Karriere als Künstlerin auszeichneten. Das Mädchen ließ sich nicht beirren. Sie trainierte diszipliniert, studierte an der Juilliard School und bewarb sich beim renommierten Curtis Institute. Doch als ihre Bewerbung abgelehnt wurde – ein Rückschlag, den sie auf ebenfalls rassistische Vorurteile zurückführte –, nahm ihr Leben eine andere Wendung. Sie war gezwungen, ihren Lebensunterhalt in Nachtclubs zu verdienen. Dort nahm sie den Namen »Nina Simone« an, um ihrer Mutter ihr neues Leben als Jazzsängerin zu verheimlichen.
Simone trat nicht auf, um Applaus zu erhalten; sie trat auf, um gehört zu werden.
Simones Frustration über ihre gescheiterten Träume und die erlebte Rassendiskriminierung wurde fortan zum Treibstoff für ihre Auftritte. Sie nutzte die Bühne als Plattform, um die Welt zu konfrontieren. Besonders während der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung zwischen den späten 1950er Jahren und dem Ende der 1960er Jahre. Lieder wie »Mississippi Goddam« waren direkte Appelle an ihr Publikum, das Simone aufforderte, sich der Wut und dem Schmerz auszusetzen, den sie empfand. Jeder Ton geladen mit Trotz und einem unaufhaltsamen Drang nach Wahrheit. Simone trat nicht auf, um Applaus zu erhalten; sie trat auf, um gehört zu werden.
Kein Bach, aber umso mitreißender
Aber Simones Intensität auf der Bühne war nicht nur von Wut geprägt. Sie umfasste ein ganzes Spektrum an Emotionen. Ihre Live-Auftritte bewegten sich fließend zwischen Freude und Trauer, Liebe und Wut und spiegelten die Komplexität ihres eigenen Lebens wider. Wenn sie »Feeling Good« sang, performte sie nicht nur ein Lied – sie teilte einen seltenen Moment des Triumphes. Und in »I Loves You, Porgy,« hört man sowohl Verletzlichkeit als auch Stärke – ein Hin und Her, das die Komplexität ihrer Beziehungen und die Herausforderungen ihrer Karriere widerspiegelt, in der sie oft ausgenutzt wurde. Auf der Bühne (und neben ihr) war sie ein Paradoxon: zwanghaft, aber unzähmbar; verletzlich, aber unzerbrechlich.
Vom Publikum forderte Simone Respekt, Stille und volle Aufmerksamkeit, was eine spürbare Spannung in ihren Auftritten erzeugte. Manchmal machte sie dies unberechenbar – sie unterbrach ein Lied, wenn sie sich nicht respektiert fühlte, oder weigerte sich weiterzuspielen, bis im Raum Ruhe herrschte.
Dies rührte von ihrem tief verwurzelten Wunsch her, ernst genommen zu werden – ein Verlangen, das aus ihrer klassischen Ausbildung stammte. Trotz ihres Erfolgs im Jazz und Blues trauerte sie stets um die klassische Karriere, die ihr verwehrt geblieben war. Nach ihrem Debüt in der Carnegie Hall schrieb sie ihren Eltern, dass sie zwar auf dieser berühmten Bühne spielte, aber nicht Bach aufführte. Diese Enttäuschung zeigte sich auch in ihren Live-Shows, in denen sie ihr Publikum oft an die hohen Standards hielt, die sie einst an sich selbst als klassische Pianistin gestellt hatte.
Eine Bühne für Traumata
Eine ihrer unvergesslichsten Aufnahmen, ihre Version von »Go Limp« in der Carnegie Hall, zeigt, wie sie mitten im Lied die Texte vergisst, improvisiert und das Publikum dazu bringt, mitzusingen. Es ist ein ungeschützter Moment, der sowohl ihre Kontrolle über ihr Publikum als auch ihre Offenheit zeigt, es für einen flüchtigen Moment hereinzulassen. Diese Auftritte waren Momentaufnahmen ihrer inneren Welt, offen dargelegt für jeden, der bereit war, genau hinzuhören.
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Nina Simone live zu erleben, bedeutet, einem Menschen dabei zuzusehen, wie er innerhalb der Performance Vergangenheit verarbeitet, eine neue Zukunft sucht und sich dabei absolute Gegenwart zutraut: Ein Programm abzuspielen war Simoner fremd, oft entstanden ihre Songs während der Performance neu. In den größten Momenten konnte man förmlich sehen, wie Simone andere Spähren anzapfte, als wäre die Muße selbst mit auf der Bühne. Chaos war möglich. Immer. Aber die Ordnung in Nina Simone war schon lange durcheinandergebracht. In ihren Auftritten konnte man die Wahrheit fühlen: Etwas schwer zu Benennendes zwischen den Tönen. Etwas, das nicht wenige Menschen bis heute zum weinen bringt.