Warum Jazzpianistin Johanna Summer in der Klassik nach Umwegen sucht 

20.05.2024
Foto:© Gregor Hohenberg (ACT)
Johanna Summer improvisiert für das deutsche Jazzlabel ACT über Schumann und Bach – anfangs verkopft, inzwischen international gefeiert.

»Das klingt bestimmt sehr allgemein«, sagt Johanna Summer, »aber mich treibt wirklich die Suche nach einem eigenen Sound an«. Summer hat sich für diese Erkundung das Klavier ausgesucht, kurz nach der Geburt eigentlich: 1995 kam sie im sächsischen Plauen zur Welt, mit sieben sitzt sie bereits regelmäßig an den Tasten. »Lernfaul«, wie Summer sagt, übersteht sie Vorspielabende in Schulen. Gewinnt Jugendwettbewerbe in Konservatorien. Gründet Bands, die nicht mehr nach ihrem Ursprung in der Klassik klingen – »auch wenn ich das damals noch nicht wusste, aber mich hat die Offenheit im Jazz sofort angesprochen«.

Summer studiert in Dresden, findet zur Improvisation. Sie spielt erste Konzerte ohne Setlist. Und zieht nach Berlin, um mal zu schauen, wie es »als freelancende Musikerin« klappen könnte. Jeden Tag Sessions spielen und immerzu bei Gigs zuhören, das gehe ohnehin nur dort, so Summer. Dresden sei zwar eine schöne Stadt. Im Gegensatz zu Berlin gebe es im Jazz aber nur wenig spannende Impulse.

Am Jazz Institut Berlin – »ein ziemlich heruntergekommener Flachbau ohne jeglichen Charme« – jammt Summer regelmäßig mit Kolleg:innen. Einen »Hochschul-Vibe« habe sie dort aber nie gefühlt. Dafür streift sie durch Berlin, nimmt alles mit: vier, fünf Gigs pro Woche – »auch weil ich wusste, dass ich nicht für immer hier bleiben möchte. Die Stadt ist auf Dauer anstrengend, zehrt an einem. Deswegen war Berlin für mich nur eine Station zum Selbststudium.«

Pädagogisch verkopft

2018 tritt Summer beim Jungen Münchner Jazzpreis an. Michael Gottfried, A&R beim wichtigen Jazzlabel ACT, sitzt im Publikum. Summers Kontakt landet später beim Chef, Siggi Loch will sie treffen. »Also habe ich einige Aufnahmen mit Robert-Schumann-Stücken gemacht, damals noch pädagogisch verkopft, und ihm die vorgespielt – er fand das alles, glaube ich, nicht so toll.«

Auf ein paar Berliner Quadratmeter feilt Summer an ihrem Konzept. Sie nimmt nicht mehr klassisch auf, sondern improvisiert über klassische Klavierwerke. Plötzlich überspringt Schumann eineinhalb Jahrhunderte, erreicht durch Summer die Gegenwart. Das Ergebnis habe sie Siggi Loch erneut vorgespielt. Diesmal nimmt ACT Summer unter Vertrag und veröffentlicht 2020 ihr Debüt, das »Schumann Kaleidoskop«

Dann wird es geil.

Johanna Summer


Dann hält die Welt an. Lockdown, keine Konzerte. Es folgen: ein stiller Abschied aus Berlin und ein Masterstudium in Köln, der zweiten wichtigen Jazzstadt in Deutschland. Ein neuer »Vibe« sei das gewesen, so Summer. »Die Jazzszene ist dort viel kleiner, aber auch viel enger. Wir waren wie eine Familie – alle kennen sich, alle haben schon mal miteinander gespielt. Das war genau meins.«

Nach dem Erfolg ihres ersten Albums – Summer wird für den Deutschen Jazzpreis nominiert – tüftelt sie mit »Resonanzen« weiter. Improvisiert mit Beethoven und Tschaikowsky, Bach und Scriabin – »in ihrem eigenen Ton«, wie Igor Levit später meinen wird. Zunächst sei alles aber anders gewesen. Summer nimmt in der Ölbergkirche in Kreuzberg auf. Drei Tage bucht ACT dafür ein. »Ich kam aber nie ins Spielen«, so Summer. »Als ich die Aufnahmen gehört habe, wusste ich sofort: Das muss ich nochmal machen.«

Auf indirektem Weg zum Ziel

ACT habe den erneuten Anlauf »nicht so toll« gefunden, aber eingewilligt: Summer sollte noch einmal aufnehmen – diesmal vor Publikum. »Plötzlich konnte ich spielen, wie es für die Musik gedacht war. Weil ich für die Menschen und nicht für einen leeren Raum gespielt habe. Und weil ich nicht einfach abbrechen konnte.« Die Aufnahme kommt bei ACT gut an, bekommt überschwängliche Kritiken, vor allem aber: Summer ist zufrieden. Schließlich weiß sie, wie sich ihre Musik anhören soll, sobald sie weiß, wie sie dem Stück näher kommt.

»Mir geht es darum, in einen Bewusstseinszustand zu kommen, in dem ich die Quelle meiner Musik sprudeln lassen kann. Dann wird es geil«, sagt Summer. »Weil auf einmal Musik aus dem Klavier kommt, von der ich nicht wusste, dass ich sie in mir trage.« Dieses Dasein zu erreichen sei die große Kunst – die guten Einfälle kämen von selbst. Dafür müsse müsse man aber die Umwege gehen. Sie gehören zum Weg.

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