Das 15-köpfige Ensemble aus Pretoria, Südafrika, ist tief in den Traditionen der Bantu verankert. Ihr Name bezeichnet eine Unterart traditioneller Heiler:innen, den sangoma. Bei den izangoma handelt es sich um Schaman:innen, die körperliche, psychische und soziale Übel diagnostizieren und heilen. In diesem Sinne versucht auch die Band, therapeutisch vorzugehen. Die vier Vokalist:innen um Sibusile Xaba singen von Armut und Entfremdung. Sie klagen Teenager-Schwangerschaften an. Sie markieren unerfüllte Versprechen von Demokratie. Sie fordern ein anderes, ein besseres urbanes Leben. IzangoMas hypnotische Songs sind Rituale – Angebote, Destruktives hinter sich zu lassen.
Ngo Ma
Dabei knüpfen die Musiker:innen explizit an Bantu-Traditionen an. Traditionell bedienen sich izangoma mantischer Rituale wie dem Knochenwurf, um Rücksprache mit Ahnen zu halten. Diesen Prozessen liegt eine eigenständige Weisheitslehre zugrunde, die ngoma. Es handelt sich um ein vielschichtiges Wort, das IzangoMa zu ihrem Albumtitel erkoren haben. Seinem Ursprung in Zulu nach bedeutet es »von der Mutter her«. In anderen Bantu-Sprachen heißt es so viel wie »Trommel«. Von dort ist es zum Überbegriff für Musik überhaupt geworden.
Diese etymologische Vielschichtigkeit deutet auf den immensen Bedeutungsreichtum, den IzangoMa in ihrem Debüt verdichten. »Ngo Ma« ist allein auf lyrischer Ebene voller kultureller Referenzen. Von der ngoma-Lehre übernehmen sie einerseits den Bezug auf die Ahnen. »Lustigerweise«, klärt Sibusile auf, »erzählt jedes Stück von Müttern. Das hatten wir so nicht geplant.« Das reicht von expliziten Aufforderungen, der eigenen Mutter zu danken, bis hin sich in die »weiblichen Energien« des Kosmos zu versenken. Andererseits beeinflussen auch Gedanken aus den abrahamitischen Religionen ngoma und das gleichnamige Album. Beim Text von »Le Nna Mfana« handelt es sich etwa um einen Psalm in der Tradition des Tanach. Der Text zählt menschliche Denkweisen auf: Kapitalismus, Feminismus, Bildung, Zivilisation. Alle seien »bullshitty«. Denn im Vergleich zur Größe »der Allmächtigen« seien sie alle nichts.
Der gemeinsame Nenner? Der Kosmos.
Der lyrisch-religiöse Synkretismus von IzangoMa findet seinen Gegenpart in einem musikalischen Eklektizismus. Ein westliches Äquivalent hat »Ngo Ma« vielleicht im kosmischen Jazz à la Sun Ra, in all seinen Ausformungen von Free-Jazz-Freakouts bis hin zu atmosphärischen Welten. Das zentrale Vorbild scheint jedoch der südafrikanische Jazz-Veteran Johnny Dyani zu sein. IzangoMa zollt ihm nicht nur einen eigenen Tribute-Song, sondern knüpft auch an Dyanis Heilungs-Thematik an.
»Jedes Stück erzählt von Müttern. Das hatten wir so nicht geplant.«
Zu diesen Einflüssen gesellen sich Bantu-Musik und, so der Pressetext, Township-Stile von Pantsula bis Bubblegum. Besonders hervorstechend ist das Timbre von Gqom, einem Sub-Genre des House, der in den 2010ern in Südafrika entstanden ist. Perkussionist Ashley Kgabo setzt hierbei bewusst auf synthetisch erzeugte Beats, die rhythmisch gut zu Club-Musik passen würden. Im Master von »Ngo Ma« sind sie jedoch relativ leise und erden die expansive Genre-Expedition. Nicht zuletzt zeigt sich IzangoMa gewillt, das Tempo herunterzufahren. »Q & A« kombiniert Ambient mit Spoken Word. Eine Stimme greift Themen des Albums auf: Demokratie, Körperlichkeit, Hoffnung. Ein planetarisches Zusammenleben, jenseits von Rassismus und Kapitalismus. Die Naivität ihrer Erzählweise macht sie entwaffnend.
Man muss sich die künstlerischen Ambitionen von IzangoMa auf der Zunge zergehen lassen. Ein deutschsprachiges Äquivalent wäre eine Band namens »Die Psychoanalytiker«. Ihr erstes Album, »Triebstruktur«, müsste Traktate zum Unbehangen an der Kultur, Wellness-Ratgeber sowie freie Assoziationen enthalten. 15 Therapeut:innen würden Verdrängtes mit einer Kombination aus Django Reinhardt, Kirchenmusik, den Sportfreunden Stiller und Berliner Techno hervorkehren. Klingt, als müsste das an der Umsetzung scheitern? Dann hat man ein Gefühl dafür, welch‘ immenser Anspruch zugrunde »Ngo Ma« liegt.